Im Morgenlicht bietet sich
heute über die Webcam ein prächtiges Bild unseres Storchenpaares.
Sehr gut lassen sich die Partner hinsichtlich Körpergröße und Schnabellänge vergleichen
und selbst dem ungeübteren Beobachter wird schnell klar, dass der
gestrige beringte Neuankömmling
das Weibchen ist. Deutlich kleiner als das Männchen und
mit einem etwas kürzeren Schnabel ausgestattet beweist die
Storchendame damit die Lehrmeinung, die in zahlreichen Veröffentlichungen
beschrieben wird. Allerdings hat nicht jeder Beobachter das Glück
„sein“ Paar nur über diese beiden Merkmalsvarianten zu
unterscheiden. Es gibt kleine Männchen und große Weibchen und
schnell verschwimmen dann die Größenunterschiede, so dass über
dieses Kriterium eine Geschlechtsbestimmung nicht mehr möglich ist.
Bei der Schnabellänge – hier geht es ja nur um Millimeter – ist
die Sache von vornherein ungleich schwieriger und nur durch den
direkten Vergleich zweier Vögel durchführbar.
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Geschlechtsbestimmung
möglich: Männchen (hinten) mit längerem und stärkerem
Schnabel |
Den entgültigen und sicheren
Beweis kann man – aber es gibt auch „Schwulenpaare!!!“ – bei
der Paarung antreten. Unser Fotograf der Fränkischen
Landeszeitung, Alban Baumhartner, konnte bereits gestern am Tag der
Ankunft des Weibchens eine Paarung im Bild festhalten (siehe
Pressebericht). Auch ihrem Storchenexperten gelang bei
seinen Beobachtungen heute in Dinkelsbühl der
„Geschlechterbeweis“ durch die Beobachtung einer langen und
gelungenen Kopulation. Dass dieser Vorgang bei Störchen ein
schwieriges Unterfangen ist – wie bei den meisten Vögeln – lässt
sich unschwer erahnen. In Ermangelung eines Begattungsorganes
(Penis) sind die Männchen gezwungen, ihre Kloake (Körperöffnung,
über die feste und flüssige Verdauungsprodukte und gleichzeitig
auch Sperma und Eier abgegeben werden) mit der der Weibchen zur
Deckung zu bringen und das Sperma in die entsprechende Körperöffnung
des Weibchens zu entsenden. Dass bei diesem Akt häufige
Fehlversuche vorkommen, erfordert eine oftmalige Wiederholung dieses
Vorganges. Dazu besteigt das Männchen den Rücken des stehenden
Weibchens (selten werden auch liegende oder sitzende Weibchen
bestiegen). Während das Weibchen seinen Partner ausbalanciert,
versucht das Männchen – es hält sich an der Schulter seiner Frau
fest – unter Einknicken im Intertarsalgelenk seine Kloake auf die
seiner Partnerin zu pressen. Nach rund 10 Sekunden ist der Vorgang
beendet, das Männchen springt ab und ein gemeinsames Klappern
schließt sich an. Mit etwas Glück und Geduld kann jeder von Ihnen
auch einmal in den Genuss dieser Aktion über die Webcam gelangen.
Beobachten Sie einmal eine Stunde durchgehend! Vielleicht ist das Glück
Ihnen hold und ein Schnappschuss im „Kasten“. Paare kopulieren
nach der Paarbildung (zwei Störche haben sich gefunden) sehr häufig.
Zehn Mal täglich ist gelegentlich noch zu niedrig angesetzt. Mit
dem Ende der Eiablage verringern sich dann solche Beobachtungen und
erlöschen gänzlich (sie haben ja ab diesem Zeitpunkt keinen
biologischen Sinn mehr). Mit dem Erscheinen des Weibchens hat sich
die Nestpräsenz gewaltig gesteigert, jedoch weite Strecken
des Nachmittags verbringt man nach wie vor im Nahrungsgebiet vor den
Toren der Stadt oder unternimmt bei der momentanen guten Thermik
weitere Flüge in die Umgebung. Gegen 11.30 Uhr konnte ein Fremdstorch
über dem Nest auf dem alten Rathaus beobachtet werden, der das Paar
zu aggressiven Klapperstrophen und heftigem Flügelpumpen
veranlasste. Es blieb bei einem einmaligen Kreisen des Fremden über
dem Nest, ehe er dann schnell wörnitzabwärts davon segelte. Das
neu vermählte Storchenpaar beruhigte sich schnell wieder, die
biologisch notwendigen Verhaltensabläufe greifen, funktionieren und
geben zu großen Hoffnungen für den weiteren Verlauf der
Geschehnisse Anlass.
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Nestbau
im Duett |
Vorsicht
Nestende! Das beringte Weibchen (vorne) beugt sich weit vor. |
Hoppla!
Das Männchen kanns ja noch besser! |
Seit heute Mittag gibt es eine
weitere neue Kameraeinstellung, die wohl für längere Zeit
Bestand haben wird. Jetzt lassen sich genauere Beobachtungen
anstellen, die bessere Einblicke in das kommende Brutgeschehen
erlauben.
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Liebsspiele
in neuer Kameraeinstellung, Männchen links |
Wir
sind jetzt aber toll im Bilde! |
Unser Storchennest scheint
bisher – was Sie als Webcam-Nutzer sicher sehr begrüßen werden
– vom Glück begünstigt. Früher als an allen anderen Orten mit
Übertragungsmöglichkeiten hat sich bereits am 15. März ein Paar
gebildet. Die Folge: Sie können fast vier Wochen früher Ihre
Entzugserscheinungen in Sachen Storch kompensieren. Und wenn bei uns
das Brutgeschehen schon fortgeschritten ist, können Sie mit einem
Mausklick nach Vetschau (www.storchennest.de)
sich wieder zurück versetzen lassen in frühere Stadien der Brut.
Davon werden beide Webcams – denke ich – profitieren. Aber Gott
sei Dank sind dies alles Hypothesen, die schnell über den Haufen
geworfen werden können. Bis jetzt ist jedoch alles wunderschön
glatt verlaufen. Zu glatt? Ein zweiter, großer Vorteil für alle
Beobachtungen am Nest ist die Tatsache, dass die Partner ohne Mühe
zu unterscheiden sind. Der unberingte Storch (er war zuerst
am Nest, bereits am 15. Februar) ist das Männchen, der
beringte Storch dann folglich das Weibchen. Dies wird wichtig
werden, wenn die unterschiedliche Beteiligung der Partner an Brut
oder Jungenaufzucht verfolgt wird oder wenn bei Beobachtungen im
Nahrungsgebiet die Partner möglicherweise verschiedene Gebiete
bevorzugen. Ich werde auf diese Möglichkeiten in den späteren
Tagebucheintragungen immer wieder eingehen. Und noch eine Möglichkeit
wird durch die leichte Unterscheidbarkeit der beiden Partner auch
gegeben sein: Ihr Storchenexperte würde sich freuen, wenn
Sie über eine eMail
oder durch einen kurzen Eintrag ins Gästebuch Vorschläge für
eine Namensgebung der beiden Altstörche machen. Für die
„Sieger-Namen“, die von einer unabhängigen Jury ermittelt
werden würden, gäbe es eine kleine „Belohnung“ in Form eines
Storchenbuches. Gesucht werden also zwei Vornamen, von denen Sie
glauben, dass Sie zu unseren beiden „Alten“ passen. Beim
Schreiben des Tagebuches ergeben sich damit natürlich auch
Variationsmöglichkeiten, die als Stilmittel hilfreich eingesetzt
werden können.
Während der Storchenmann,
nennen wir ihn für heute einmal Willi, unberingt ist, seine
Herkunft also im Dunkeln liegt, wird die bisherige Lebensgeschichte
des beringten Weibchens sicher von Ihnen mit großem Interesse
vernommen werden, zeigt sie doch, was durch konsequente, mühsame
Ablesearbeit an wichtigen Erkenntnissen zum Vorschein kommen kann.
Da eine Ablesung über das
ausgestrahlte Bild der Webcam nicht möglich ist, musste sich Ihr
Experte heute unter das riesige Dach der Dinkelsbühler
Georgskirche begeben. Sie wissen schon: Zuerst zum Pfarrer, dann
zum Mesner (alles liebe Leute und überaus hilfsbereit), dann die
Wendeltreppe im Turm nach oben und nach 150 Stufen (werden sie noch
einmal genau zählen) in etwa 25 Metern Höhe an einer weiteren Tür
betrete ich den herausragenden Dachraum der spätgotischen
Hallenkirche (die schönste gotische Hallenkirche Süddeutschlands).
Die gewaltige Dachkonstruktion ist eigentlich mit Worten nicht zu
beschreiben und türmt sich in vier Etagen bis in eine Höhe von
rund 50 Metern. Aus einer kleinen Dachluke im obersten Stockwerk
knapp unter dem Dachfirst und nach Verdrehung des Oberkörpers um 90
Grad eröffnet sich ein spektakulärer Blick ins Storchennest.

Georgskirche aus der
Storchenperspektive.
Das oberste Fensterchen rechts unter dem First ist mein
Beobachtungsposten

Dieser Blick auf das Storchenpaar bietet sich aus der obersten Dachluke
der Georgskirche. Rechts erkennt man das Mosbacher Weibchen.

Das Paar aus einer Dachluke weiter unten. Sehr gut ist der
Größenunterschied erkennbar und der an der Basis dickere
Schnabel des Männchens rechts.
Die Dohlen der Kolonie
des Münsters St. Georg (etwa 12 Paare) machen einen Lärm, weil sie
die Störung ihres Reiches schon längst bemerkt hatten. Zum 50
Meter entfernten Storchennest herrscht bei Abwesenheit seiner
Bewohner ein reger Flugverkehr, der das Stehlen von störchischem
Nistmaterial zum Ziel hat und erfolgreich durchgeführt wird.
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Nistmaterialdiebstahl
durch Dohlen der Georgskirche |
Als ich mein Ziel unter dem
Dach erreiche, steht das Paar noch im Nest, so dass ich in Ruhe mein
Spektiv in Anschlag bringen kann und bald das Geheimnis um die
Storchendame lüften kann.
Und hier beginnt eine bemerkenswerte
Lebensgeschichte:
Die Wiege der Störchin stand
in dem kleinen Ort Waldbeuren (47,91667 N
9,33333 E) im Regierungsbezirk Tübingen in Südwürttemberg.
Dort wurde sie als Küken am 07.06.1999 im Alter von etwa 4
Wochen durch Hans Lakeberg (er verstarb im letzten Jahr leider viel
zu früh) beringt und erhielt einen Ring mit der Nummer O...6989 und
der Aufschrift Vogelwarte Radolfzell Germania.
Dort und an anderen Stellen in
Baden-Württemberg bestanden und bestehen noch Stationen, die der
Zucht von Weißstörchen dienen. Diesem Zuchtprogramm entstammt
unsere Störchin. Ihre Eltern verbringen auch den Winter in der
Umgebung der Station, ob O..6989 nach dem Ausfliegen aus dem Nest
abzog, wie es sich für Störche gehört oder doch in der Nähe
ihrer Geburtsheimat blieb, ist mir nicht bekannt.
Das erste Mal begegnete ich dem
Ringstorch O...6989, als er das zarte Alter von einem Jahr erreicht
hatte. Am 06.07.2000 konnte ich ihn auf dem Dach der Kirche
von Weißenkirchberg (49,25000 N 10,28333 E) im Landkreis Ansbach, Bayern als Übernachtungsgast
ablesen. Er wurde noch zwei weitere Tage dort gesichtet, blieb aber
danach verschwunden.
Ein knappes Jahr später
begegnete ich unserer Störchin am 30. März 2001. Sie
erschien damals mit einem unberingten Partner in Mosbach
(49,17000 N 10,26000
E), einem Ortsteil von Feuchtwangen, Landkreis Ansbach,
am dortigen, seit über 40 Jahren bestehenden Storchennest
und machte sofort Anstalten, eine Brut in die Wege zu leiten. Und
die Sensation nahm ihren Lauf. Eine erst zweijährige Störchin
schickte sich an, erfolgreich zu brüten. Während eine solche Möglichkeit
vor 30 Jahren für fast undenkbar erklärt worden wäre, häufen
sich in letzter Zeit derartige Fälle frühreifer Störche. Meist
bleibt es aber bei erfolglosen Brutversuchen oder die
Nachwuchsleistungen sind eher bescheiden zu nennen. Doch O...6989
brachte in Mosbach 5 Junge zum Schlüpfen und sagenhafte 4 Junge zum
Ausfliegen. Diese grandiose Leistung einer zweijährigen Störchin dürfte
weltweit noch nicht oft erreicht worden sein. Mir ist aus der
Literatur kein derartiger Fall bekannt. Am 30. August 2001
sah ich O...6989 zum letzten Male in Mosbach.
Als in diesem Jahr am 11. März
2002 eine Einwohnerin aus Mosbach vom Erscheinen des ersten
Storches im Ort berichtete (noch nie war eine Beobachtung so früh) fuhr ich
sofort in den nur 5 Kilometer von meiner Wohnung entfernten Ort, um
den Ankömmling zu begrüßen. Und was ich innerlich gehofft hatte,
fand seine Bestätigung. Unsere Mosbacher Storchendame war an ihr
Vorjahresnest zurückgekehrt. Auch am 12. und 13. März stattete ich
der beringten Störchin einen Besuch in Mosbach ab. Doch irgendwann
am Morgen des 15. März muss sie in den Bannkreis des Dinkelsbühler
Männchens geraten sein. Beide Orte liegen nur 11 Kilometer
Luftlinie voneinander entfernt. Wenn der eine sich 5 Kilometer nach
Norden, die andere sich 5 Kilometer nach Süden bewegt (und das ist
auch zu früher Morgenstunde bei schlechter Thermik möglich) , kann
es zu einem Treffen kommen. Und so etwa muss es sich auch zugetragen
haben.
Die Mosbacher Störchin und
der Dinkelsbühler Storchenmann müssen Geschmack aneinander
gefunden haben, denn heute Mittag konnte ich Ringstorch O...6989 im
Dinkelsbühler Nest stehen sehen und die Ringinschrift ablesen. Die
Ringdame wechselte also ihren Brutort und fand am neuen Platz sofort
Gefallen, paarte sie sich doch sogleich und alles deutet darauf hin,
dass sie auch beabsichtig zu bleiben. Noch eine kleine
Pikanterie am Rande: Zwischen Dinkelsbühl und Feuchtwangen –
obwohl Nachbarstädte – besteht eine Jahrhunderte alte
Feindschaft, die auch heute noch unterschwellig immer wieder einmal
aufblitzt. So verlor Feuchtwangen vor knapp zwei Jahren seine
Geburtsstation im hiesigen Kreiskrankenhaus an den Konkurrenten in
Dinkelbühl. Feuchtwangen als Geburtsort für Neugeborene ist damit
so gut wie verschwunden. Und jetzt siedelt zu allem Überfluss auch
noch der leibhaftige Kinderbringer aus dem Feuchtwanger Ortsteil
Mosbach ins nicht immer geliebte Dinkelsbühl über und leistet dort
zu allem Überfluss (hoffentlich) weitere Geburtshilfe.
Man darf die weitere
Entwicklung gespannt abwarten. Was geschieht, wenn – ob überhaupt?
– das Weibchen des Vorjahres zurückkehrt? Ist vielleicht auch das
Männchen in diesem Jahr neu? Muss es sich möglicherweise noch
gegen das angestammte Männchen
durchsetzen? Es bleibt also auf alle Fälle spannend. Sie können
an allem teilhaben, wenn Sie regelmäßig unsere Seite anklicken und
fleißig im Tagebuch blättern.
Man soll
den Tag nicht vor dem Abend loben. Vor einer Stunde
schrieb ich noch, wie glatt bisher alles verlaufen ist und ich
plante schon die Brut und schwärmte von der Jungenaufzucht des
Dinkelsbühler Paares. Während des Schreibens obiger Seiten lief
parallel das Livebild der Webcam aus meinem Nachbarort Dinkelsbühl
über meinen PC. Die eingeblendete Uhrzeit zeigte mir immer
dringender, dass das Paar doch möglichst bald zu erscheinen hätte.
Als es bereits nach 18.30 Uhr war und auch gegen 18.40 Uhr das Nest
noch seltsam leer anmutete, beschlich mich eine böse Ahnung. Es war
auszuschließen, dass Störche bei solch miesem Licht freiwillig
noch eine größere Strecke zurücklegen. Habe ich vielleicht im
oben Gesagten dem Dinkelbühler Männchen Unrecht getan, indem ich
ihm eine Entführung aus dem Feuchtwanger Ortsteil Mosbach anhängen
wollte? Ist er vielleicht gar nicht der Schlimme und ich muss meine
Meinung über ihn komplett revidieren.? Der geneigte Leser mag
meinen Verdacht bereits ahnen.
Sollte die listige Störchin,
indem sie um die Hand des Dinkelsbühlers bat, gar Böses im Schilde
geführt haben. Eine knappe halbe Stunde später – eine schmale
Mondsichel taucht die Szenerie in ein gespenstisches Licht – stehe
ich in der kleinen Ortschaft Mosbach und auf dem Kamin des Nestgebäudes
entdecke ich doch tatsächlich ein Storchenpaar. Es besteht überhaupt
kein Zweifel, dass die Ringstörchin O...6989 ihrem „Geliebten“
am Nachmittag mal eben schnell ihr altes Domizil präsentierte
und er nicht anders konnte oder wollte als zu bleiben – wenigstens
für eine Nacht.
Ich versprach Spannung (siehe
oben). Dass sie aber so unvermittelt und doch überraschend Einzug
halten sollte, wollte ich damit nicht erreichen. Zumindest bis
Morgen früh wird sich an der Lage nichts ändern. Wer von beiden
bei der Wahl des möglichen Nistplatzes die Oberhand behalten wird,
steht noch ganz in den Sternen. Dass Nestwechsel – gerade
zu Beginn einer Brutzeit - sicher regelmäßig vorkommen und
auch schon zwischen dem Dinkelsbühler und dem Weiltinger Nest mit
gegenseitigen Entführungsversuchen festgestellt wurden, ist
keineswegs überraschend. Deshalb bleibt uns nur eines zu tun, nämlich
die weitere Entwicklung interessiert abzuwarten.
Klicken Sie trotzdem weiter auf die Website, vielleicht kehren beide
schon bald wieder reumütig zurück. Oder es erscheinen neue Störche
am Nest auf dem alten Rathaus von Dinkelsbühl.
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