Storchenkamera
 
Storchentagebuch 2003
...was bisher geschah

Teil 15

12. Aug. 03

 

Früher als erwartet und weniger als 14 Tage nach dem ersten Ausflug unseres ältesten Jungstorchs Felix hat sich unser Quartett in den Vormittagsstunden aus Dinkelsbühl verabschiedet.


Wo sind sie denn hin?

Felix verließ am 30. Juli erstmals das Nest, am 3. August, dem Tag unseres kleinen Storchentreffens, flog Benjamin das erste Mal. So dauerte es als bei Felix 13, bei Benjamin 9 Tage bis zum Verlassen des Geburtsortes. Sicher hängt das schnelle Verlassen der Brutheimat mit den weiterhin extremen Wetterverhältnissen zusammen, denn auch heute kletterte die Quecksilbersäule abermals über die 35-Grad-Marke. Als gestern die Jungen aus Wassertrüdingen in Dinkelsbühl übernachteten und zu diesem Zeitpunkt unser Quartett nicht mehr im Nest, sondern auf umliegenden Dächern nächtigte, deutete sich für mich diese Entwicklung schon an. Das Fernbleiben vom Nest war der entscheidende Schritt für den heutigen Abzug. Zuletzt gelang um 10:31 Uhr eine Sichtung zweier Jungen im Nest.


Letzter Schnappschuss von zwei Jungen im Nest!

Von da an wurde keiner mehr gesehen. Mit Sicherheit haben sich die Gäste sowie die Dinkelsbühler Jungen in der Thermik des späten Vormittages über der Stadt in die Höhe geschraubt und sind schließlich in Richtung Südwesten abgeflogen. Natürlich muss diese These spekulativ bleiben, denn für unseren Nachwuchs gibt es – wie für alle Störche – zwei Abzugsvarianten. Franken liegt nun genau in einer Mischzone, aus der heraus beide Zugrichtungen möglich sind. Es gibt für unser Nest keine neueren Ringfunde, aber aus der Gesamtschau meiner bisherigen Ringfunde für fränkische Störche ist ersichtlich, das etwa 70% die Westroute fliegen, der Rest folglich dann die Ostroute. Ein Ringfund für einen Dinkelsbühler Jungstorch aus dem Jahre 1959 belegt die Westroute, wurde dieser Vogel doch aus dem französischen Teil der Pyrenäen zurückgemeldet. Aus dem vergangenen Jahr erhielt ich zwei Ablesungen der beiden damaligen Wassertrüdinger Jungstörche aus Hochrhein in Graubünden, Schweiz. Diese beiden Festsstellungen sind klare Belege für einen Westzug. Ebenfalls aus dem Vorjahr stammt dagegen ein Todfund eines Jungstorchs aus Wittelshofen (zwischen Dinkelsbühl und Wassertrüdingen gelegen), der aus Niederbayern gemeldet wurde. Sie sehen also, wie diffizil die Verhältnisse in Franken liegen. Ganz generell gilt aber: Je weiter man nach Osten blickt, umso häufiger liegt die Abzugsrichtung in dieser Himmelsrichtung, je weiter man nach Westen Richtung Rhein kommt, umso häufiger liegt die Abzugsrichtung in jener Himmelsrichtung. Aber Sie kennen ja schon das geflügelte Wort: Bei Störchen ist mit jeder Überraschung zu rechnen und es gibt Schweizer Störche, die nach Osten ziehen und tschechische, die nach Westen reisen. Deshalb sind die hier gemachten Angaben lediglich Anhaltspunkte, welche Abzugsrichtung in unserem Falle die dominierende sein könnte. Unser Quartett reist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gemeinsam. Das heißt, Felix, Lore, Luise und Benjamin bilden eine Reisegruppe, der sich sehr schnell Störche anschließen werden. Schon beim Start zählte man ja wahrscheinlich acht Köpfe. Auf dem weiteren Weg Richtung Südwest gesellen sich immer mehr Störche dazu, so dass Richtung Schweiz/Bodensee Trupps von 50 und mehr Störchen keine Seltenheit sind. Je weiter sich unsere Jungen von ihrer Brutheimat entfernen, desto größer wird natürlich die Möglichkeit, dass der Geschwisterverband auseinander reißt und einer irgendwo hängen bleibt oder den Anschluss verliert. Im Grunde aber gilt, dass Geschwister auch auf dem Wegzug Kontakt zueinander halten oder dies zumindest versuchen. Bei den guten Wetterbedingungen des heutigen Tages mit weit über 30 Grad Lufttemperatur und guter Thermik sollte ein Flug bis in den Nähe des Bodensees möglich sein, wenn auch der erste Flugtag selten schon eine maximale Flugleistung (und das wären so 200 bis 300 Kilometer) erlaubt. Da die Zugrichtung angeboren ist, erfordert es die Vererbungslehre, dass es zumindest auch in der Linie der Elternvögel Westzieher gibt. Ob hier Vater und/oder Mutter als die entscheidenden Vererber fungieren, vermag ich nicht zu sagen. Da aber Georg bereits am 25. Februar am Nest erschien, rechne ich ihn mit großer Sicherheit zu den Westziehern. Kein Ostzieher erscheint so früh. Also ist es sehr gut möglich, dass Georg irgendwo in Spanien überwintert hat, seine Kinder dann eben auch die Westroute nehmen. Georg und Pauline reisen in den nächsten Tagen ebenfalls ab. Bei ihnen ist die Situation wieder eine andere. Georg – nehmen wir einmal an – fliegt ebenfalls Richtung Spanien. Pauline geht ihre eigenen Wege und könnte theoretisch und auch praktisch die Ostroute einschlagen. Eine gemeinsame Reise der Altstörche ist auf jeden Fall eher die Ausnahme. Da sie auch meist mit großem Abstand zueinander aus der Brutheimat verschwinden, sehen sie sich während des Zuges wohl nie. Erst die Treue zum Nest des Vorjahres führt dann die beiden Partner wieder zusammen. Da spielt es keine Rolle, welche Zugwege die Störche genommen haben. Das gemeinsame Ziel ist das Entscheidende. Eines der berühmtesten Storchenpaare unserer Republik sind Prinzesschen und Felix. Gerade die zuletzt genannte Storchendame hat in diesem Jahr für einigen Wirbel gesorgt. Beide Störche tragen einen Satellitensender und sind damit genau verfolgbar. Deshalb weiß man, dass Felix in Spanien überwintert, Prinzesschen dagegen alljährlich bis nach Südafrika wandert. So könnte es im Extremfall bei Georg und Pauline auch sein. Nur einmal gelang es mir heute, beide Elternteile gemeinsam im Nest zu „erwischen“.


Pauline, unsere Kinder sind wohl weg!

Sie schienen ihren Jungen nachzusehen, die sich irgendwo im Luftraum über der Stadt aufhielten. Danach war das Nest meist leer. Pauline stand zwischendurch längere Zeit auf dem Dachfirst


Das wäre geschafft!

und erst gegen 19 Uhr konnte man Georg wieder im Nest beobachten.


Georg macht im Nest Pause!

In der Nacht allerdings blieb der Platz im Nest Pauline vorbehalten und Georg zog freiwillig auf den Dachfirst des benachbarten Cafèhauses Haagen.


Georg scheint mir ein wenig aus dem Weg zu gehen!

Er stand auf der rückwärtigen, zur Georgskirche weisenden Giebelspitze und wollte von Pauline nichts mehr wissen. Man sieht, dass die enge Paarbindung zu seiner Partnerin bereits aufgebrochen ist und er es vorzieht, ohne ihre Gesellschaft auszukommen. Bitte nicht denken, dass sich beide nichts mehr zu sagen hätten oder die Verbindung durch Streitigkeiten gelöst wurde. Es sind die Hormone! Ich werde das Schlafverhalten auch in den nächsten Tagen beobachten und an dieser Stelle darüber berichten.      

13. Aug. 03

Heute war der heißeste Tag seit 1948 im Gebiet der Wörnitz. 38 Grad zeigte das Thermometer am Nachmittag. Dazu wehte ein heißer „Wüstenwind“, der zusätzliche Saharastimmung aufkommen ließ. Die Spuren im Nest gaben für zahlreiche Gästebuchschreiber schon am Morgen einige Rätsel auf. Sind es Mäuse? Sind es geheime Zeichen der Eltern an ihren Nachwuchs? Wer jedoch in unserem Falle an Gewölle gedacht hat, lag richtig.


Des Rätsels Lösung: Gewölle!

Pauline brachte es also während der Nacht auf den Ausstoß einiger dieser unverdaulichen Nahrungsreste. Natürlich werden diese  aus Haaren, Erde, Chitinteilen, kleinen Steinchen und anderem „Unrat“ bestehenden Nicht-Verdauungs-Produkte auch sonst von den beiden Altstörchen und den Jungen ausgewürgt. In den Monaten bis zum Schlüpfen der Jungen und in der ersten Phase der Jungenaufzucht werden solche Teile schnell überbaut und verschwinden dann unter dem neuen Nistmaterial. Sind die Jungen erst einmal größer, zertreten diese die im Nestinneren liegenden Gewölle sehr schnell, so dass eigentlich nur selten und immer nur für kurze Zeit ein ungetrübter Blick auf diese Produkte möglich ist. Die Nestbesuche von Georg und Pauline hielten sich während der Bruthitze sehr in Grenzen.

Georg zu Besuch! Klappert oder gähnt er? Georg im Abseits!

Der Abend erbrachte schließlich die gleiche Situation wie bereits gestern. Pauline übernachtete allein im Nest. Ob Georg abermals auf dem Dach des Cafés Haagen stand, konnte ich nicht mehr persönlich ermitteln. Ich weilte nämlich bis weit nach Mitternacht mit der gesamten Familie bei einem Konzertabend, den Tochter Felicitas mit einer weiteren Sängerin aus Feuchtwangen im Rahmenprogramm der Röttinger Festspiele mit Opern- und Operettenmelodien gab. Vor mehreren Hundert Besuchern wurde der Abend zu einem gefeierten Erlebnis für alle Zuhörer.

14. Aug. 03

Es hat abgekühlt und einige Wolken versprechen vielleicht sogar den einen oder anderen Regenschauer. Die Zahl der Gewölle hat sich auch in dieser Nacht erneut vermehrt.


Pauline hat in der Nacht fleißig verdaut!

Pauline konnte folglich ihren Verdauungsprozess weiterführen und somit unter Beweis stellen, dass es immer noch Nahrung für sie gibt. Eine findige Störchin – der Storchenmann natürlich ebenso – kommt ohne den Nachwuchs versorgen zu müssen, allein auf sich gestellt, auch mit einer prekären Nahrungssituation gut zurecht. Die Temperaturen stiegen heute nur noch kurz über 30 Grad, sanken am Nachmittag mit den kurzen Schauern schließlich in den Bereich von erträglichen 25 Grad. Die Ruhe am Nest entwickelt auch ihre Reize, doch ausgestorben blieb es auch heute nicht. Immer wieder kamen entweder Georg oder Pauline zu Kurzbesuchen vorbei und unterstrichen dadurch, dass sie noch nicht gewillt sind, Dinkelsbühl den Rücken zu kehren.

Georg zu Hause... ...in Liegestellung

Am Abend saß Familie Ziegler nach Einbruch der Dunkelheit in Dinkelsbühl „Beim Surri“ im Biergarten und hatte einen ungetrübten Blick zum Rathausnest, in dem Pauline abwechselnd lag und stand.


Pauline ist zum Übernachten erschienen.

Beäugt wurde sie in dieser Zeit von Gemahl Georg, der wieder auf dem Dach des schon häufiger genannten Cafés Haagen übernachtete. Diesmal hatte er jedoch die andere Giebelspitze gewählt und blickte nun unter sich auf die Straße am Ledermarkt.

Ein nächtliche Kontrolle ergab in Schopfloch die drei Jungen im Nest und beide Altvögel gemeinsam auf dem Kamin eines Wohnhauses an der Durchgangsstraße. Die beiden Mosbacher Altstörche standen ebenfalls zusammen im Nest. Während die beiden Feuchtwanger Störche weder auf ihrem Ausweichquartier „Matratzenfabrik“ noch auf  dem Nest in der Altsstadt zu finden waren und offensichtlich abgezogen sind. 

15. Aug. 03

Weitere traurige Meldungen gab es heute über das Schicksal einiger Jungstörche aus dem Gebiet der Wörnitz. So kamen von den vier Jungen im Nest in Rudelstetten (Ries) zwei bereits ums Leben. Einer starb bereits vor dem Ausfliegen im Nest, der zweite verunglückte beim ersten Ausflug. Auch das einzige überlebende Junge aus Munningen (dort war bei einem Unwetter der Horstbaum umgestürzt und hatte zwei von drei Jungen erschlagen) verunglückte beim ersten Abflug vom Nest und kam mit erheblichen Flügelverletzungen in den Tiergarten nach Nürnberg, wo ein Flügel amputiert werden musste. Und nun verunglückte heute ein weiterer Jungstorch bei Wechingen im Ries. Wie Hermann Metzger, der Storchenvater im Ries, mir mitteilte, fing er einen flugunfähigen Jungstorch in der Nähe des genannten Ortes ein. Da er beringt war, wies ihn die Ringnummer als aus Mosbach stammend aus. Dort hatte ich die dreiköpfige Jungenschar zuletzt am 3. August gesehen. Offensichtlich hatten sich die Jungen seitdem knapp 50 Kilometer von ihrem Geburtsnest entfernt im Ries herumgetrieben, wenn auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der Unglücksrabe mit seiner Verletzung schon einige Tage in dieser Gegend aufgehalten hatte. Mitarbeiter des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern brachten den Storch in den Tiergarten nach Nürnberg.

Wesentlich erfreulicher gestaltet sich dagegen das Leben auf dem Altrathausnest in Dinkelsbühl. Georg interessierte sich sogar schon wieder für die seit dem Abflug der Jungen entstandene Unordnung im und am Nest.


Zeit, wieder etwas aufzuräumen!

Der äußerste Kranz aus Ästen und Zweigen hat inzwischen etwas an „Nestbindung“ verloren und ist leicht nach unten abgerutscht. Ob es an überfliegenden Fremdstörchen lag, dass Georg und Pauline im Nest eine Drohposition einnahmen und heftig klapperten oder ob es übertriebene Freude war, sich wieder einmal im Nest zu begegnen, kann nicht eindeutig geklärt werden.


Schön, dich wieder einmal bei mir zu haben, Pauline!

Bei Georg dauerte dieses Verhalten etwas länger und er konnte auch später noch beim Drohen beobachtet werden. Als er sich auch noch durch die Liegeposition als der Hausherr auswies, dürfte der Grund der Aufregung doch vermehrt im Auftauchen von Fremden zu suchen gewesen sein.

Jetzt sind die Fremden wieder weg!

Als sich die Aufregung wieder gelegt hatte, standen Pauline und Georg einträchtig und gelassen nebeneinander und gaben sich in aller Ruhe der Gefiederpflege hin.


Genug Zeit für die Körperpflege!

Abends stand Pauline erneut alleine im Nest und musste eine weitere Nacht auf ihren Gemahl Georg verzichten. Dieser stand – mit großer Sicherheit – etwas abseits bei Haagen auf dem Dachfirst.

16. Aug. 03 Die Abkühlung, die gestern nur noch Temperaturen von 27 Grad gebracht hatte, setzte sich heute nicht weiter fort. Die Sonne vertrieb auch die letzten Regenwolken, die jedoch nur einige Tropfen des so dringend erforderlichen Regens brachten. Mit beinahe 30 Grad im Schatten konnte man trotzdem schon ein wenig aufatmen. Man sieht daran, wie schnell sich der Körper auf die Hitze einzustellen vermag. Auch heute gab es über Stunden „Zweisamkeit“ im Nest.


Wo unsere Kinder jetzt wohl sein werden, Georg?

Nach einigen Tagen des absoluten „Getrennt-Seins“ finden Georg und Pauline so langsam wieder zusammen. Mit etwas Glück traf man sie im Nest an und die Schnappschüsse sollen diese neue Liebe auch belegen.


Die Abkühlung war nur von kurzer Dauer!

Selbst am Abend erschienen beide im Nest und man hatte den Eindruck, dass es zur ersten gemeinsamen Übernachtung kommen könnte, doch am Schluss machte sich Georg im letzten Licht noch davon und zog es vor, auf den benachbarten Dachfirst des Cafés Haagen zu entschwinden.

Bleibst du heute bei mir, Georg? Er hat sich wieder nicht getraut!
17. Aug. 03 Das Thermometer kletterte abermals locker über die 30-Grad-Marke. Dazu entwickelte sich eine teilweise extreme Schwüle, die den Tag nicht leicht erträglich machte. Nachdem zuerst wieder Georg seine Anwesenheit eindeutig unterstrich,


Bin ja gespannt, wann Pauline kommt!

waren es über die Mittagsstunden beide Elternteile, die für Stunden Präsenz zeigten. Dabei fiel auf, dass Georg es vorzog, ein wenig Abstand zu seiner Partnerin zu halten. So rückte er ein Stück vom Nest ab und stand für Stunden auf dem Dachfirst des alten Rathauses.

     

Würde es heute Abend zu einer Neuerung im Übernachtungsverhalten unserer beiden Stars kommen? Um 20:40 Uhr hielt man noch Tuchfühlung und zeigte sich vereint im Nest.


Bleibst du heute, Georg?

Aber bereits 10 Minuten später war Georg abermals von Pauline abgerückt, aber erstmals nicht auf ein Nachbardach, sondern er blieb praktisch auf Tuchfühlung auf dem Dachfirst des alten Rathauses stehen. Dort schlummerte unser Traumpaar dann in den neuen Morgen.

Heute probiere ich es zur Abwechslung
auf dem Dachfirst, Pauline!)
18. Aug. 03 Der erste Anruf des Tages kam von Thomas Joas, dem Ortsvorsitzenden des Bund Naturschutz in Dinkelsbühl. Er habe erfahren, dass bei Diederstetten auf einem Acker ein toter Storch liege. Er bat mich, der Sache nachzugehen und die näheren Umstände zu ermitteln. Da Diederstetten innerhalb des Nahrungsgebietes der Dinklsbühler Störche liegt, war mein erster Gedanke: Kann ein Dinkelsbühler Storch von einem solchen Unglück betroffen sein? Eigentlich nicht! Die Jungen sind seit sechs Tagen abgezogen und dass sie in einer Entfernung von etwa 4 Kilometern ausharren, ohne ans Nest zurück zu kommen, ist ziemlich ausgeschlossen. Nachdem ich meinen Kontaktmann in Diederstetten aufgesucht hatte, war das Finden des toten Storchs keine große Schwierigkeit mehr. Auf einer leichten Anhöhe auf einem ehemaligen Rapsfeld sollte sich das Opfer befinden. Zwei Rote Milane hatten den Kadaver bereits entdeckt. Während einer über dem Opfer kreiste, hatte sich ein zweiter an der Unglücksstelle niedergelassen und sich am Aas bereits zu schaffen gemacht. Bei meinem Auftauchen flog er ab und kreiste noch eine Weile über dem Unglücksort. Das Opfer – maximal seit gestern tot – zeigte äußerlich keinerlei Verletzungen. Am After war es offensichtlich von den Attacken der Milane bereits ein wenig geöffnet und wies dort eine diesbezügliche Verletzung auf. Beim toten Storch handelte es sich um einen unberingten Vogel, ein kleiner Trost, aber ein toter Storch ist – ob beringt oder unberingt – ein beklagenswerter Verlust. Demnach konnte es keiner „meiner“ Störche gewesen sein und die Herkunft wird immer im Dunkeln bleiben. In etwa 30 Meter Entfernung führt eine mit  Isolierschläuchen gesicherte 20 kV-Stromtrasse entlang. Die früher so gesicherten Masten erwiesen sich nach neuen Erkenntnissen als nicht sehr sicher, so dass durch auftretende Kriechströme dennoch Erdschlüsse möglich waren und sind. Deshalb wurden und werden solche Masten auch sukzessive nachgerüstet. Die weite Distanz von der Fundstelle zu einem der Masten lässt einen Tod im Mastbereich reichlich unwahrscheinlich erscheinen. Eher kommt da schon ein Anflug gegen die Leiterseile in Frage. Aber ein Klärung der Todesursache muss auf Grund der Fundumstände als unbekannt eingestuft werden. Die Fahrt zur Unglücksstelle brachte als kleinen Nebeneffekt den Sichtnachweis von Pauline im Nahrungsgebiet. Während Gemahl Georg schon große Teile des Vormittages einsam in seinem Nest thronte,


Ich glaube, ich reise bald ab!

ertappte ich Pauline zwischen Neustädtlein und Knittelsbach rund 3 Kilometer sudöstlich des Nestes an der Wörnitz bei der Nahrungssuche. Sie durchstöberte den Randstreifen zwischen einer gemähten und einer ungemähten Fläche auf der Suche nach Insekten.

 

Georg brachte es im Lauf des Tages auf viele Stunden Anwesenheit im Nest.


Da mach ich es mir doch einmal bequem!

Das Abrutschen des Nistmaterials legte allerlei von Georgs Sammelleidenschaft während der Brut und Jungenaufzucht frei. So tauchten vermehrt Plastikteile auf, die damals an den Nestrand gezerrt und dort eingebaut worden waren. Auch gab es erneut einige frische Gewölle zu bestaunen, die Pauline während der Nacht und des Vormittages im Nest ausgewürgt hatte. Das Wetter gestaltete sich erneut wechselhaft mit einzelnen Schauern und Gewittern. Dabei blieben die Temperaturen auf einem hohen Niveau von annähernd 30 Grad. Am späten Nachmittag – das Nest war zu diesem Zeitpunkt leer – entlud sich über Dinkelsbühl ein kurzes, aber heftiges Gewitter, dessen Verlauf die Schnappschüsse zeigen.

Diesmal brauchte jedoch niemand Angst zu haben, wie sich die Naturgewalten entwickeln würden, bedrohten sie doch nur ein leeres Nest. Mit einiger Spannung erwartete ich den abendlichen Einflug unseres Traumpaares. Und an diesem Abend passierte es endlich, was ich eigentlich schon viel früher erwartet hatte. Pauline und Georg fanden sich wieder! Sie brachten es endlich fertig, ihre Distanz zu überwinden und eine Nacht gemeinsam im Nest zu verbringen. Bis 21:02 Uhr musste Pauline warten, ehe Georg unter heftigem Begrüßungsklappern am Nest erschien und die erste Nacht seit vielen Wochen im engen Dunstkreis von Pauline verlebte.

Heute kommt Georg zu mir ins Nest! Ich hatte Recht! Wiedervereinigung!
19. Aug. 03

Heute musste ich lange warten, ehe sich etwas im Nest regte.


Daran muss man sich erst wieder gewöhnen!

Zugegeben, ich konnte nicht pausenlos am Bildschirm sitzen! Doch meine erste Sichtung gelang zum abendlichen Einflug von Georg. Er war es, der um 20:21 Uhr nach Hause gefunden hatte, im Nest stocherte und anschließend nur noch wenig Aktivität zeigte.


Heute warte ich zur Abwechslung auf Pauline!

Fast genau zum gleichen Zeitpunkt wie gestern erschien Pauline kurz vor 21:00 Uhr unter heftigem Begrüßungszeremoniell.


Willkommen bei mir zu Haus, Pauline!

Danach erwartete man abermals gemeinsam die nächste Nacht in Dinkelsbühl. Was ich kürzlich über die Feuchtwanger Störche gesagt hatte, durfte ich heute gegen Abend revidieren. Beide sind nämlich noch nicht gen Süden geflogen, denn einer stand gegen 19 Uhr im Nest auf dem Rathauskamin und um 22 Uhr auf der Matratzenfabrik zum Übernachten.

20. Aug. 03 Thomas Joas entwickelt sich langsam zum Überbringer von Hiobsbotschaften. Meldete er mir erst vor 48 Stunden den Tod eines unberingten Jungstorchs, so hieß seine heutige Botschaft am Vormittag: „Bei Tiefweg liegt ein toter Storch.“ Danach noch eine kurze Beschreibung des genauen Ortes, den Namen einer Bezugsperson und damit war die Aufgabe von Thomas J. erfüllt. Als Nächster musste nun Thomas Z. ran. Das Gebiet um Tiefweg ist bekannt als Nahrungsraum der Dinkelsbühler, Wilburgstettener und zum Teil sogar der Weiltinger Störche. Nach Dinkelsbühl und zum Nest auf dem alten Rathaus sind es gerade gut gerechnete vier Kilometer, zum Fundort des toten Jungen vom 18. August bei Diederstetten gerade zwei Kilometer. Etwas beunruhigt fuhr ich die rund 20 Kilometer von meinem Heimatort bis nach Tiefweg. Kurz vor dem kleinen, inmitten eines Weihergebiets gelegenen Ort sah ich schon, wie Thomas es mir beschrieben hatte, neben einer Pferdekoppel, mitten auf einer Wiese ein weißes „Etwas“ liegen. Als ich den Vogel untersuchte, fiel sofort die merkwürdige Haltung des toten Storches auf. In weitem Abstand zum Fundort befinden sich keinerlei Stromleitungen oder ähnliche Hindernisse, ein Stromtod scheidet damit völlig aus. Die Beine waren außerdem angewinkelt, so dass man vermuten musste, dass der Tod den Vogel im Liegen ereilt hatte. Der Hals und der Kopf waren eigenartig verdreht und nach hinten auf den Rücken gesunken. Allein diese Eindrücke verstärkten meinen Verdacht, dass dieser Vogel im Liegen auf der Wiese unter krampfartigen Begleitumständen verstorben war. Als Todeszeit kam die vorausgegangene Nacht in Frage. In dieser Einschätzung bestärkte mich auch eine Anwohnerin, die seit Tagen immer wieder zwei Störche von ihrem Haus aus an den Weihern beobachten konnte. Auch gestern Abend seien sie da gewesen. Einer lag schon zu diesem Zeitpunkt am Boden, so dass sie erst glaubte, es sei eine Katze. Später habe sie nicht mehr darauf geachtet und erst heute am Morgen die traurige Entdeckung gemacht. Da Georg und Pauline gestern ja gemeinsam im Nest übernachtet hatten, konnte der tote Storch kein Dinkelsbühler sein, denn beim ersten Anblick dachte ich sogleich an unsere Pauline. Der vor mir im Gras liegende Storch war ein Altvogel und trug keinen Ring. Blieben als mögliche Kandidaten immer noch einer der Altstörche aus Wilburgstetten oder Weiltingen oder ein Durchzügler aus einer ganz anderen Gegend. Sollte der nun vor mir liegende Storch – und diese Todesart halte ich für die wahrscheinlichste – an einer Vergiftung gestorben sein? Wer aber sollte hier Gift ausbringen? Es gibt einen Teichwirt, es gibt ganz in der Nähe eine Graureiherkolonie, aber da kann ich beim besten Willen keine Zusammenhänge herauslesen. Für alle Fälle galt es zunächst den Kadaver sicher zu stellen. Da meine hauseigene Gefriertruhe mit allerlei Getier schon bis zum Bersten gefüllt ist, schied diese Unterbringungsmöglichkeit aus. Doch Thomas Joas wusste schnell einen Rat. Er verständigte eine Jägerin in Wilburgstetten und fragte nach einem freien Platz in einer Gefriertruhe. Es gab einen solchen. So brachte ich den toten Altstorch an diese Adresse und die morgendliche Storchenaktion konnte vorübergehend abgeschlossen werden. Ich werde versuchen, den Vogel einer Untersuchung zuzuführen, um vielleicht Aufschluss über die Todesursache zu bekommen. Trotz der Gewissheit, dass es keiner der Dinkelsbühler Altstörche sein konnte, der da in einer Gefriertruhe verschwunden war, blieb doch den ganzen Tag über eine Unruhe in mir, die sich erst legen sollte, wenn ich am Abend beide Störche im Nest zu Gesicht bekommen würde. Das Warten wurde bis 20:36 Uhr mit dem Erscheinen von Georg und Pauline beendet.


Uns gibt es noch, liebe Sehergemeinde!

Da standen sie plötzlich wie hingemeißelt und das blieb so, bis die Nacht über dem Nest hereinbrach. Pauline und „ihr Schorsch“ hatten sich also für eine weitere Nacht zum Bleiben entschieden und sich gegen einen Platz in einer Gefriertruhe ausgesprochen. Das soll bitte auch so bleiben. Mit schlechten Nachrichten sind wir ja in letzter Zeit reichlich eingedeckt worden.

Wir wünschen eine gute Nacht!
21. Aug. 03

Ich bin gespannt, wie lange Georg und Pauline noch zu beobachten sein werden. Das Wetter zeigt sich auch in den letzten Tagen von seiner besten Seite. Von  Regen weit und breit keine Spur, so dass  das Niederschlagsdefizit so allmählich dramatische Formen annimmt. Offenbar lässt sich unser Traumpaar dennoch nicht davon abhalten, Dinkelsbühl untreu zu werden und an anderer Stelle sein Glück zu versuchen. Nach dem morgendlichen Abflug präsentierte das Nest wie in den letzten Tagen einige unversehrt gebliebene Gewölle der vergangenen Nacht. Bleiben Pauline und Georg dann während des Tages sehr lange dem Nest fern, behalten die Überreste der Verdauung auch sehr lange ihre Form. Befinden sich beide Störche allerdings längere Zeit im Nest, werden die schwarzen „Dinger“ sehr schnell zertreten und sehen dann wie dunkelgraue Pfannkuchen aus.


Verdauungsreste!

Erst um 20:14 Uhr konnte ich Georg als ersten Übernachtungsgast begrüßen.


Mal sehen, wie lange ich noch bleibe?

Pauline folgte um 20:32 Uhr und man verbrachte eine weitere Nacht gemeinsam im Nest.

Du, Pauline, wir sollten uns im nächsten Jahr wieder in Dinkelsbühl verabreden!

Eine nächtliche Kontrolle in Mosbach zeigte ein verlassenes Nest. Demnach sind auch die Eltern inzwischen abgereist. Ich werde aber trotzdem weiter „am Ball“ bleiben, um eine mögliche Rückkehr doch nicht zu verpassen. Solche Ausflüge, die auch mal einige Tage dauern können und mit einer nachmaligen Rückkehr zum Nest verbunden sind, habe ich schon mehrmals beobachten können. In Schopfloch standen zur Nacht nur noch die beiden Altstörche im Nest, die Jungen sind zur Stunde ebenfalls auf dem Wegzug.

22. Aug. 03 Das Tagebuch ist mit dem heutigen Tag genau ein halbes Jahr geöffnet. Seit dem 23. Februar konnte ich j e d e n  T a g einen neuen Eintrag hinzufügen. Wann es – vorübergehend – geschlossen werden kann, lässt sich noch nicht absehen, denn Georg und Pauline halten ihr Nest nach wie vor besetzt und von einem ähnlichen Fall wie im letzten Jahr in Mosbach ist wahrscheinlich nicht auszugehen. Damals blieb einer der Jungen nach mehrwöchiger Pflege zurück und wurde bis zu seinem Abflug am 8. Dezember durch mich intensiv beobachtet und seine Erlebnisse im Tagebuch schriftlich fixiert. Heute gaben sich unsere beiden Nestbesitzer längere Zeit auch während des Tages die Ehre. Pauline zog dabei den Dachfirst dem Nest vor und überließ ihrem Gemahl Georg die Sonderstellung in der ehemaligen Kinderstube.


Lassen wir uns die Mittagssonne
auf den Rücken brennen!

Fast schon zur Routine entwickelt sich das abendliche Geschehen. Gegen 20:30 Uhr war es zunächst erneut Georg, der seinen Übernachtungsplatz bezog,


Mal sehen, wann Pauline heute kommt!

ehe wenige Minuten vor 21:00 Uhr Pauline einschwebte. Eine weitere Nacht tauchte beide in ein geheimnisvolles Licht.

 

23. Aug. 03

Alles läuft weiterhin prächtig. Nach wie vor scheint die Sonne von einem wolkenlosen Himmel, von Regen keine Spur und Pauline und Georg halten sich auch 11 Tage nach dem Abzug Ihrer Jungen zeitweise am Nest auf. So kam es über die Mittagszeit zu einem der seltenen Besuche beider Altstörche außerhalb der Nachtstunden. Obwohl man glauben konnte, es sei nur einer am Nest, verriet die genauere Betrachtung des Kamerabildes, dass es doch Georg u n d Pauline sein mussten: Zwei Schnäbel, vier Beine..!“?


Doppeltes Lottchen!?

Doch bald war es mit der Zweisamkeit vorbei und Georg hielt nach dem Abflug von Pauline noch über eine Stunde allein Stellung im Nest. Ab 13:40 Uhr sah man nur noch die schon obligatorischen Gewölle als Zierde des Nestes


Mahlzeit!

und man musste sich bis zur hereinbrechenden Dämmerung gedulden, ehe gegen 20:50 Uhr beide Altstörche wieder vereint am Nest eingetroffen waren und eine weitere Nacht dort verbrachten.

So kann es noch ein Weilchen weiter gehen!)
24. Aug. 03 Auch heute verbrachte ein Mitglied unseres Traumpaares seine Mittagspause im Nest. Georg zog diesen hervorragenden Aussichtspunkt während mehr als einer Stunde jedem anderen Platz vor.


Aufräumen!

Aus seinem Verhalten konnte geschlossen werden, dass er fremden Störchen über seinem Nest beweisen wollte, wer hier Herr im Hause sei. Unter heftigem Drohen und Klappern zeigte er deutlich seine Nestpräsenz.


Drohen!

Als er abgeflogen war, konnte man nicht mehr mit einer baldigen Rückkehr rechnen und das Warten auf den abendlichen Einflug konnte beginnen. Ein weiteres Mal wurde dieses Warten mit einbrechender Dämmerung vom Erscheinen der beiden „Alten“ überstrahlt. Um 20:47 Uhr hatten sie sich am Nest eingefunden und verlebten auch die neue Nacht gemeinsam.


Schlafen!

Ob sie sich schon ein wenig abgesprochen haben, wann denn ihr Abflug geplant sei? Wollen wir hoffen, dass es noch einige Tage dauert, bis der Platz im Nest auch in der Nacht leer bleibt.

25. Aug. 03

Von der Wetterfront gibt es nichts Neues. Die Sonne scheint auch in der neuen Woche von einem strahlend blauen Himmel und lässt die Temperaturen erneut weit über die 25-Grad-Marke klettern. Von unserem Traumpaar war tagsüber nichts zu sehen, zumal die Technik – durchaus verständlich – die Bildintervalle auf über eine halbe Stunde verlängert hat. Da bleiben natürlich Kurzbesuche am Nest unentdeckt, aber für die entscheidenden Minuten und Stunden während der Nacht reicht es allemal. Man kann immerhin feststellen, ob ein oder zwei Störche im Nest übernachten. Und diese Beobachtung soll für uns in den nächsten Tagen wesentlich sein. So konnte man beim Schnappschuss um 20:36 Uhr Pauline im Nest stehen sehen,

der sich bis 21:09 Uhr auch Georg zugesellt hatte. Einer lag und der Partner stand neben ihm und das Ganze im romantischen Licht der Stadtbeleuchtung Dinkelsbühls.

Bei einer kleinen nachmittäglichen Exkursion konnte ich Georg im Nahrungsgebiet längere Zeit beobachten. Er ging an der Wörnitz zwischen der Froschmühle und dem Ortsteil Maulmacher in einer frisch gemähten Wiese der Nahrungssuche nach. Von seiner Partnerin war in diesem Flussabschnitt nichts zu entdecken. Beide Altstörche scheinen auch im Augenblick während des Tages getrennte Wege zu gehen und erst zur Übernachtung wieder zusammen zu treffen. Als kleiner Nebeneffekt gelang mir bei der Fahrt an die Wörnitz noch die Beobachtung des Schopflocher Storchenpaares, das ebenfalls noch vor Ort weilt und in der Nähe von Zwernberg im Bereich der Mündung der Zwergwörnitz in die Wörnitz zur Beobachtung kam.

26. Aug. 03 Die Sonne scheint weiter von einem wolkenlosen Himmel...! Aber das wissen Sie ja schon längst und daran hat sich auch in der neuen Woche nichts verändert. Pauline und Georg konnten von mir heute am Nest während des Tages nicht beobachtet werden.


Wo seid ihr, Georg und Pauline?

Bei einer neuerlichen Exkursion in die Wörnitzauen sichtete ich jedoch Georg abermals zwischen Lehengütingen und der Pulvermühle. Er war gegenüber gestern rund einen Kilometer weiter Richtung Nordwesten anzutreffen. Von Pauline, seiner Partnerin, fehlte in diesem Flussabschnitt erneut jede Spur. So verwunderte es auch nicht, dass ich Nest und Nestgebäude am Nachmittag in einem storchenlosen Zustand vorfand. An Hand der Spuren auf dem Dach erkennt man die Lieblings-Ruheplätze von Georg und Pauline. Zum einen war dies der Kamin links vom Nest und zum anderen die Giebelspitze rechts vom Nest.

Ein zweites Foto, das ich bei meinem Besuch heute in Dinkelsbühl schoss, zeigt das zweite Gebäude, das Café Haagen. Dort verbrachten Pauline und Georg viele Nächte. An der rechten Giebelseite war über Wochen Paulines Schlafplatz und an einigen Stellen auf der linken Dachseite künden weiße Schmelzspuren ebenfalls von gelegentlichen Übernachtungen.

Etwa gegen 20:30 Uhr konnte man das Paar schließlich bei seiner Rückkehr zum Nest bestaunen und ihm eine gute Nacht wünschen. Dass dabei der eine oder andere Partner auch einmal im Nest lag, brachte Erinnerungen an die Brutzeit hoch, die nun schon über drei Monate zurück liegt.

27. Aug. 03 Nun wird es mit jedem Tag spannender! Wie lange kehren Pauline und Georg noch abends ins Nest zurück? Verschwinden sie gemeinsam oder – was vielleicht häufiger vorkommt – nacheinander? Für heute wurden alle Wartenden mit dem Erscheinen beider „Alten“ belohnt. Sie standen zumindest ab 20:26 Uhr einträchtig nebeneinander im Nest und verbrachten eine weitere Nacht, in der der Mars seine geringste Entfernung zur Erde seit Jahrtausenden aufbot, einzelne Sternschnuppen über den Himmel zogen und der Mond sich ganz versteckte, in Dinkelsbühl.
 
28. Aug. 03

Heute ist es passiert! Was wir seit langem erwartet, aber immer ein Stückchen verdrängt haben, ist nun am Abend zur Wahrheit geworden. Pauline und Georg sind nicht mehr in ihr Nest zurückgekehrt! Erstmals blieb das Nest ohne Übernachtungsgast. Angesichts des Verhaltens unseres Traumpaares während der vergangenen Wochen bedeutet dieser Umstand, dass beide heute während des Tages abgezogen sind. Sie taten dies gemeinsam, so dass die Chance besteht, dass sie zumindest ein Stück des Weges gemeinsam bzw. in die gleiche Richtung ziehen werden. Sie leiteten ihre Abreise am letzten Tag einer beispiellosen Schönwetterperiode ein, die man später wohl als Jahrhundertsommer bezeichnen wird. Dieser wird mit den niedrigsten Niederschlagswerten und den höchsten Temperaturen seit Bestehen von Wetteraufzeichnungen in die Geschichte eingehen. Das abendliche Warten auf den Einflug der Übernachtungsgäste blieb also am heutigen Tage ohne Erfolg. Da sich bei einem Kurzbesuch der Stadt auch auf den umliegenden Häusern nach Einbruch der Dunkelheit kein Adebar mehr zeigte, blieb kein anderer Schluss übrig.


Adieu, Georg und Pauline! Gute Reise!

Wünschen wir den beiden, auch im Namen aller unserer treuen Seher, eine gute und glückliche Reise. Wie weit und in welche Richtung sie führen wird, kann nur vermutet werden. Ich spekuliere einmal, dass Georg und Pauline nun doch in westliche Gefilde entfleucht sein könnten. Mit einem Zwischenziel in Spanien oder einem Winterquartier in den Savannen Westafrikas – bevorzugt Mauretanien und Mali – liegen wir vielleicht gar nicht so verkehrt. Das Paar aus dem benachbarten Schopfloch konnte ich am späten Nachmittag in der Nähe des Ortes auf einem frisch gepflügten Stoppelacker noch einmal zu Gesicht bekommen, so dass zumindest bis morgen noch mit seiner Anwesenheit gerechnet werden darf.

29. Aug. 03

Als ob es unser Storchenpaar geahnt hätte! Gerade wenige Stunden bevor sich Andreas Kamm, Thomas Joas und Ihr Tagebuchschreiber in Dinkelsbühl am heutigen Vormittag trafen, um über die abgelaufenen Saison zu reflektieren und an die nächste zu denken, hatten sich Georg und Pauline aus dem Staub gemacht. Dabei hätten die beiden den Gesprächen ohne Sorge und Bangen entgegen sehen können. Die Akzeptanz unserer Website konnte sich im großen Konzert ähnlich gestrickter Seiten eines regen Zuspruchs erfreuen, der auf alle Fälle dazu anspornt, auch im nächsten Jahr – vorausgesetzt wir haben wieder Glück und können über reichen Kindersegen berichten – in noch verbesserter Form aus dem Storchennest zu berichten. Ich möchte genauere Details und viele neue Ideen noch nicht ausplaudern, darf aber schon so viel verraten, dass auf alle Fälle ein Livestream zu erwarten sein dürfte. Auch das Tagebuch, das nun nicht mehr täglich aktualisiert zu werden braucht, bleibt weiterhin bestehen und geöffnet und wird von Zeit zu Zeit auch in der storchenlosen Zeit ergänzt. Es lohnt sich also nach wie vor, ab und zu ein wenig neugierig zu sein und auch dem Tagebuch weiterhin Aufmerksamkeit zu schenken. Sobald es Wichtiges zu berichten gibt, werde ich dies in diesem Forum bekannt geben.


Ein trostloser Anblick!

30. Aug. 03

Das Nest weist auch an diesem Abend keinen weiteren Übernachtungsgast aus. Die leise Hoffnung, dass sich Georg und Pauline mal nur auf einen kurzen Ausflug begeben hätten, bewahrheitete sich leider nicht. Wenn alles „nach Plan“ verlaufen sein sollte, dürften beide bereits die Grenzen der Bundesrepublik überflogen haben und sich auf dem Gebiet der Schweiz befinden. Das Gebiet zwischen dem Züricher und dem Genfer See lud sie heute zur Übernachtung ein.


Dinkelsbühl ist um eine Attraktion ärmer!

31. Aug. 03 Gegen 20 Uhr erreichte mich die nächste Schreckensnachricht. Familie Boidol, allen Naturfreunden in und um Dinkelsbühl wohl bekannt, entdeckte bei ihrer Exkursion am Abend zwischen Ruffenhofen und Aufkirchen – im Bereich der Nahrungsgebiete der Storchenpaare von Wittelshofen und Gerolfingen – unter einem ungesicherten Masten einer 20 kV-Stromtrasse einen frisch toten Altstorch ohne Ring. Dieser wies keine äußeren Verletzungen auf, nach Sachlage der Fundumstände besteht jedoch an einem Stromtod kein Zweifel, zumal der Tierkörper direkt am Mastfuß lagt. Dabei dürfte es bei der Landung auf der Traverse oder kurz danach zu einem Erdschluss und damit zu einem tödlich verlaufenden Stromschlag gekommen sein. Das Opfer fiel „wie vom Blitz getroffen“ zu Boden und blieb direkt unter dem Mast liegen. Mit diesem Fall kam bereits der dritte Storch allein im Gebiet um Dinkelsbühl in diesem Jahr zu Tode.


Die prächtige Georgskirche überragt die Stadt.
Vor dem Turm sind das leere Nest und das weiße Dach
des alten Rathauses zu erkennen!

1. Sep. 03

Während sich Ihr Tagebuchschreiber in der angebrochenen letzten Ferienwoche  mit der gesamten Familie auf eine kleine Reise nach Stuttgart begab, wurde er auf der Autobahn von einem erneuten Anruf aufgeschreckt. Thomas Joas, seines Zeichens Vorsitzender der Ortsgruppe Dinkelsbühl im Bund Naturschutz, wusste von einem weiteren Zwischenfall mit einem Storch zu berichten. Zwischen Königshofen und Oberkönigshofen, beides Orte im östlichen Kreis Ansbach, halte sich ein Storch auf, der verletzt sei und nicht mehr fliegen könne. Er wolle der Sache auf den Grund gehen und versuchen, den Vogel einzufangen und in ärztliche Behandlung zu bringen. Als ich am Nachmittag auf dem Stuttgarter Schlossplatz beim Kaffeetrinken saß, klingelte mein Handy erneut. Thomas Joas meldete sich außer Atem und berichtete über seine Schwierigkeiten, des Storches habhaft zu werden. Dieser weise zwar eine Verletzung am Bein auf, sei aber noch so gut bei Kräften, dass ein Fang im Augenblick nicht möglich sei. Wir kamen deshalb überein, unser Glück an einem der nächsten Tage erneut zu versuchen.

Dass es sich auch jetzt noch lohnt, dem Nest auf dem alten Rathaus in Dinkelsbühl etwas Aufmerksamkeit zu schenken, beweist Ulrich Bohla mit seinem gelungenen Schnappschuss. Wenn schon nicht Pauline oder Georg zur Beobachtung kamen, dann doch wenigstens eine prächtige Elster.


Da gibt es aber nichts zu holen, liebe Elster!

2. Sep. 03 Das Schicksal des verletzten Storches ließ mir den ganzen Tag keine Ruhe, so dass ich beschloss, an der beschriebenen Stelle mein Glück zu versuchen.


Aufenthaltsgebiet des verletzten Storches

Meine beiden Buben hatte ich sicherheitshalber mitgenommen, um beim Fangen leichteres Spiel zu haben. Nach einigen Minuten des Suchens entdeckten wir in einem abgeernteten Maisfeld im Fersensitz den besagten Storch. Wir kreisten den Vogel zu Fuß ein und zogen dann den Ring immer enger. Doch als wir auf etwa 30 Meter herangekommen waren, sprang der verletzte Storch auf und flog nach wenigen Metern Anlauf mühelos und gekonnt auf. Nach einem Flug von fast 500 Metern landete er auf einem Erdhügel am Rande eines Flurbereinigungsweges. Als ein Spaziergänger mit einem frei laufenden Hund sich der Stelle näherte, startete der Storch erneut und flog ungefähr die gleiche Strecke bis an den Ortsrand von Oberkönigshofen. Er hatte abermals ein ehemaliges Maisfeld angesteuert und ging nach seiner Landung dort wieder in den Fersensitz.

 (Feuchtwangen_425) Es bereitete ihm sichtlich Schmerzen, das verletzte Bein zu belasten. Ich beobachtete ihn diesmal aus der Distanz, um über die Art der Verletzung etwas heraus zu bekommen. Das linke Bein wies im Bereich der Zehen bis einige Zentimeter darüber schwarze Verkrustungen auf, die von Blutungen herrühren konnten. Ein danach folgender Sprint in die Richtung des sitzenden Vogels führte allerdings abermals zu keinem Erfolg. Zu gut flog er auch diesmal und vergrößerte damit seinen Abstand zu uns auf einige Hundert Meter. So wird ihm nur schwer beizukommen sein. Um ihn nicht über Gebühr zu strapazieren, brachen wir damit den zweiten Fangversuch ab.

3. Sep. 03 Thomas Joas begab sich heute ein weiteres Mal in das Gebiet, in dem sich der verletzte Adebar weiterhin aufhält und das er seit seiner ersten Sichtung nicht verlassen hat. Das Ergebnis blieb leider das gleiche wie an den vergangenen Tagen.
4. Sep. 03

Unserem Patienten wollten wir heute einen Ruhetag gönnen. Dafür zeigten sich am Storchennest wieder einmal mehrere Dohlen gleichzeitig. Ob hier wohl Jungdohlen von ihren Eltern auf die Möglichkeit des Nistmaterialdiebstahls eingeschworen wurden, sei dahin gestellt. Außerhalb der Brutzeit wird von dieser Möglichkeit jedoch kein Gebrauch gemacht, da hierfür keine Notwendigkeit besteht.


Schaut euch diesen
Haufen Nistmaterial schon einmal an!

08. Okt. 03

Leider ist und war Ihr Tagebuchschreiber in den vergangenen Wochen nicht „aushäusig“. Er verbrachte seine Freizeit ausnahmsweise nicht mit Störchen, sondern nutzte seine Freiräume, um sich vermehrt der Familie zu widmen. Gerne würde ich den Spuren unserer Störche im Winterquartier einmal folgen, dies muss ich aber, wenn es überhaupt realisierbar ist, auf die Zeit nach meiner Pensionierung verschieben. Auch ein fernöstliches Reiseziel wäre ein lohnendes Unterfangen, aber es bleibt wohl noch für einige Zeit ein Wunschtraum. So begann für mich am 8. Sep. der „Ernst des Lebens“ mit der ersten Lehrerkonferenz an meiner Schule und am folgenden Tag empfing ich meine neuen Erstklässler erwartungsfroh für das beginnende neue Schuljahr. Die ersten Wochen gestalten sich – wie viele von Ihnen wahrscheinlich gut nachempfinden können- immer ein wenig schwierig und für beide Seiten – Lehrer und Schüler – überaus anstrengend und Kräfte zehrend. Daneben musste die Familie für Sohn Tobias eine Studentenbude mit ausstatten und dazu gelegentlich für einen halben Tag nach Stuttgart entschwinden. Am 9. September wurde offiziell die Storchensaison beendet. Dazu traf sich der „harte“ Kern der Verantwortlichen zu einem Fototermin vor dem Schaufenster der Adler-Apotheke in Dinkelsbühl. Dort konnte über ein Fernsehgerät jedermann ein halbes Jahr lang Einblick in das Leben Adebars gewinnen. Vor allem Apotheker Klaus Milz durfte sich für seine Bereitschaft, ein Schaufenster für die gute Sache zur Verfügung zu stellen, loben lassen. Die Lokalpresse zeigte sich ebenfalls mit unserer Aktion solidarisch und brachte einen weiteren Bericht und einen kurzen Artikel zu den Ereignissen des Storchenjahres 2003.


Wichtige Personen der „Storchenkamera“ (v.l.): Andreas Kamm (Technik), Thomas Ziegler (Tagebuch), Klaus Milz (Adler-Apotheke), Wolfgang Horlacher (Webmaster), Thomas Joas (Vorsitzender Ortsgruppe Dinkelsbühl im Bund Naturschutz)

Dass die Kameraübertragung via Internet noch bis zum 4. Oktober lief und als letztes Bild ein reichlich verregnetes Dinkelsbühl brachte, verursachte für die Betreiber keinerlei Mehrkosten.


Schlussbild einer erfolgreichen Saison

Die im Vergleich zur „Hochsaison“ anlaufenden Übertragungskosten konnte Andreas Kamm innerhalb seines „Pools“ quasi kostenfrei mit unterbringen. Dass es letztlich doch zu einer Einstellung zum genannten Termin kam, lag an den Stadtwerken in Dinkelsbühl. Diese beantragten – nach vorheriger Rücksprache mit den Betreibern der Storchenkamera – den Telefonanschluss während der Abwesenheit der Störche zu kündigen. Da die Stadtwerke für die monatlichen Anschlussgebühren aufkommen, lässt sich durch die Kündigung seitens der Stadt zumindest bis einschließlich Februar 2004 einiges an Unkosten einsparen. Die Kamera selbst läuft unterdessen natürlich weiter, so wie sie es seit April 2001 ununterbrochen und störungsfrei tut. Nur werden ihre Bilder nicht mehr in die weite Welt übertragen. Sobald sich wieder ein Storch am Nest blicken lässt – spätestens aber zum Beginn des Monats März – werden die Bilder der Webcam wieder laufen lernen. Bis dahin bleibt noch etwas Zeit, sich Gedanken zu machen, wie und mit welchen technischen Neuerungen wir im kommenden Jahr mit Ihnen in Kontakt treten werden. Die alte Mannschaft bleibt auf alle Fälle zusammen und garantiert für Kontinuität. Ihr Tagebuchschreiber wird ebenfalls seinen Beitrag der Begleitung und Kommentierung der Ereignisse am Nest beibehalten. An der Intensität und Ausführlichkeit seiner Kommentare wird er aber Abstriche vornehmen, die allerdings Wesentliches nicht vernachlässigen werden. Es wird weiter ein Tagebuch geben, das aber vielleicht statt 1000 Seiten nur noch wenige Hundert Seiten stark sein wird und vielleicht auch nicht jeden Tag mit einer 10-seitigen Replik abschließt. Ich denke, dass sich auch meine treuesten Leser mit einer solchen abgespeckten Lösung einverstanden erklären können und mir deshalb nicht allzu gram sein werden.

Unser verletzter Storch, der sich mindestens seit 1. September (siehe die letzten Tagebucheinträge) im Gebiet von Königshofen - Oberkönigshofen herumgetrieben hatte, konnte in der Folgezeit wiederholt beobachtet werden. In allen Fällen gelang ein Fang nicht oder ein solcher wurde erst gar nicht versucht. Der Aktionsradius des fraglichen Vogels erstreckte sich im Verlauf des Septembers über ein immer größeres Gebiet, so dass davon ausgegangen werden konnte, dass sich die Verletzung mit der Zeit gebessert hatte. Neben den genannten Orten kamen Meldungen die weiter wiesethabwärts reichten und über Bechhofen in den Raum Heinersdorf-Voggendorf führten. Einige Tage später war der Storch wieder zurückgewechselt und hielt sich darauf in der Gegend von Meierndorf auf. Die vorläufig letzten Meldungen erreichten mich von der Altmühl. Am 23. September wurde zwischen Leibelbach und Heuberg (beide Orte in der Nähe von Herrieden) ein offenbar verletzter Storch gemeldet, auf den die Beschreibung passte. Seit diesem Datum fehlt eine weitere Sichtbeobachtung. Es kann dennoch nicht ausgeschlossen werden, dass sich Adebar immer noch dort aufhält. Eine Meldung über seinen Tod hat mich allerdings bis heute noch nicht erreicht.  

30. Dez 03

Es gibt ihn noch – Ihren Tagebuchschreiber! Pünktlich zum Jahresausklang und quasi als Abschluss eines überaus erfolgreichen Storchenjahres, das unserem Nest mit vier ausfliegenden Jungen und unserer Website mit 320.000 Zugriffen überragende Erfolge brachte, melde ich mich aus der „Versenkung“. Ich tue dies sehr gerne, da ich weiß, dass viele Storchenfreunde insgeheim schon längere Zeit auf ein Lebenszeichen von meiner Seite gewartet haben. Dass dies bisher nicht geschah, hat weder persönliche Ursachen noch anders gelagerte Gründe, sondern war allein auf meine Schreibfaulheit zurückzuführen. Wenn es nichts Besonderes zu berichten gibt und der Faden einmal gerissen ist, ergeben sich einfach einmal mehrwöchige Pausen so wie in unserem Fall. Seien Sie mir deshalb nicht böse! Das Tagebuch des Jahres 2003 mit täglichen Einträgen von Mitte Februar bis in den September hinein erforderte schon einige Kraft und manchmal auch die Überwindung des inneren Schweinehundes, so dass ich nach dem Abzug der Störche fast ein wenig froh war, dem mir selbst auferlegten Zwang des Berichtens entfliehen zu können.

Es gab in diesem Herbst auch keine Hugos, deren Schicksal nachgespürt und über deren Erlebnisse berichtet werden konnte. Über den im vorangegangenen Eintrag erwähnten verletzten Storch erreichten mich keinerlei Nachrichten mehr. Seine weiteren Lebensstationen entziehen sich deshalb meiner Kenntnis. Von unserem Dinkelsbühler Storchenquartett liegen bis zum heutigen Tag keine Nachrichten vor. Da die Jungen – wie Sie sicher noch wissen – im Nest mit Ringen der Vogelwarte Radolfzell gekennzeichnet wurden, besteht die Möglichkeit ihren Lebensweg zu verfolgen. Dies setzt allerdings voraus, dass die Ringinschriften irgendwo mit einem Fernrohr abgelesen oder – und dies wäre weniger erfreulich – die Ringe nach dem Tod des Vogels in menschliche „Obhut“ geraten. Beides ist noch nicht geschehen oder nicht mitgeteilt worden.

Über den Verbleib von Jungstörchen aus weiteren fränkischen bzw. schwäbischen Storchennestern gibt es aber inzwischen eine ganze Reihe von Meldungen, die vielleicht auch Hinweise auf den möglichen Zugweg der Dinkelsbühler Jungen geben. Je ein Jungstorch aus Oettingen und Gunzenhausen des Geburtsjahrganges 2002 wurde am 14.9. des vergangenen Jahres bei Los Barrios, Provinz Cadiz in Spanien abgelesen. Dieser Ort mit einer riesigen Müllkippe ist seit langem als Überwinterungsplatz von Störchen bekannt, er dient aber auch als „Warte- und Sammelpunkt“ für Störche vor dem Überfliegen der Straße von Gibraltar. Ein Mosbacher Jungstorch des Jahres 2003 wurde am 9. September Stromopfer bei Vilagrassa, Provinz Lerida in Spanien. In dieser Gegend kommen – wie die Ergebnisse des schweizerischen Projektes SOS-Storch ergaben – jährlich Hunderte von Störchen an wenigen Stromleitungen zu Tode.

Einen überaus interessanten Einblick in den möglichen Zugverlauf  eines Jungstorches aus Wassertrüdingen aus dem Jahr 2002 erbrachten zwei Lebendbeobachtungen. Die erste stammte bereits aus dem Vorjahr, als dieser Vogel zusammen mit seinem Nestgeschwister am 9. September in der Ortschaft Hinterrhein in Graubünden, Schweiz abgelesen wurde. Auf ihrem ersten Flug musste das Duo von Wassertrüdingen aus an das Ostufer des Bodensees gelangt sein. Von dort folgte es dem Rheintal und kam über Chur nach Tamins. Dort vereinigen sich der Vorder- und der Hinterrhein zum Namen gebenden Vater Rhein. Statt schon vorher im Bereich des Bodensees der Normalroute durch das Schweizer Mittelland zu folgen, strebte das Duo nun immer weiter in das Hochgebirge hinein. Noch fungierte der Hinterrhein als Leitlinie und brachte beide in über 1600 Meter Höhe in den gleichnamigen Ort. Hier musste das Paar übernachtet haben. Vor ihm lag der Eingang zum San-Bernardino-Tunnel, vierhundert Meter höher die Passhöhe des Passo del S.Bernardino. Es blieb keine große Auswahl. Man schraubte sich – gute Thermik vorausgesetzt – am nächsten Tag in die Höhe und überflog den Pass, um anschließend italienischen Boden zu erreichen. In der Ferne blinkte bereits der Comer See und die lombardische Millionenstadt Mailand war zu erahnen. Hier endete der erste Teil der Geschichte, bis mich vor einigen Wochen eine weitere Nachricht eines der beiden „Alpenüberquerer“ erreichte.

Ein solcher Zugweg ist nun nichts Außergewöhnliches – es gibt eine ganze Reihe von Italienfunden – jedoch blieb es in den mir bekannten Fällen immer bei einem einmaligen Schlaglicht. Da heißt es dann „erlegt“ bei Mailand, tot gefunden in der Nähe von Chur, beobachtet in der Provinz Bergamo. Wie es aber möglicherweise im Leben dieser Erstzieher weiter geht, blieb, soweit ich es überblicken kann, meist im Dunkeln. Fast genau ein Jahr später, am 2. September 2003, wird der Wassertrüdinger Storch – nun am Beginn seines zweiten Lebensjahres stehend - unweit der Lagunenstadt Venedig in der Provinz Treviso erneut lebend abgelesen. Ich vermute, dass er sich seit seiner Erstbeobachtung immer in Oberitalien aufgehalten und dort auch den ersten Winter verbracht hat. Vielleicht hat er auf der Suche nach einem „Schlupfloch“ entlang des Alpensüdkammes im Westen keinen Ausgang gefunden und danach mit einer mehr östlich orientierten Suche begonnen. Diese brachte ihn an den Ort seiner letzten Sichtung. Was wird weiter mit ihm passieren? Es wäre toll, wenn man erfahren könnte, wo er sich im nächsten Frühjahr aufhalten wird! Wird er sich mit Einsetzen der Geschlechtsreife wieder nordwärts orientieren? Viele Fragen, deren Beantwortung dem Ganzen noch die Krone aufsetzen würden. Geben wir uns also zunächst mit dem zufrieden, was bisher an Erkenntnissen erbracht wurde.

Mit jedem neuen Tag verkürzt sich auch die Wartezeit am Dinkelsbühler Nest. Nehmen wir die beiden vergangenen Jahre als Richtschnur, dann könnte es innerhalb der nächsten acht Wochen passieren, dass es heißt: Der Storch ist da! Bis dahin seien Sie vertröstet und genießen Sie bis dahin die Bilder der spanischen Webcam aus Arevalo unter www.seo.org/arevalo . Dort kann schon seit Wochen ein Paar bewundert werden, das sich zumindest zum Übernachten regelmäßig am Nest einstellt.  

Für den Jahreswechsel und den Beginn eines neuen, hoffentlich ähnlich erfolgreichen Storchenjahres 2004 wünsche ich Ihnen allen ein gesegnetes neues Jahr, in dem Sie gesund bleiben, Ihre Gesundheit wieder finden und in dem sich alle Ihre Hoffnungen und Ziele positiv entwickeln mögen. Der nächste Tagebucheintrag wird nicht mehr so lange auf sich warten lassen und wird gleichzeitig das Tagebuch 2004 eröffnen.  

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Inzwischen sind weitere Spenden eingegangen. Wir bedanken uns ganz herzlich für Ihre Beiträge zum Erhalt der Webcam und zur Sicherung des Lebensraumes unserer Störche.

Thomas Ziegler

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