Storchenkamera

Storchentagebuch 2001
...was bisher geschah

Teil 6 

16. Juli 01


Schwungübungen vor prächtiger Kulisse

Mit dem heutigen Tag hat unsere Technik einen neuen Bildausschnitt gewählt, der Ihnen in den nächsten Wochen wieder eine etwas totalere Sichtweise des Nestes bietet.
Der große, graue Steinbau im Bildhintergrund ist die Ev.-Luth. Stadtpfarrkirche St. Paul, in den Jahren 1840-1843 erbaut, neoromanisch, Eingangshalle im Untergeschoss des Nordturmes in der Nördlinger Straße. 

Die spitzgiebeligen Häuser rechts hinten gehören zur Klostergasse.

Standen bisher Details in der Entwicklung unserer Jungen mit im Vordergrund, kann nun - schon wegen der enormen Körpergröße der Halbstarken - eine "globalere" Betrachtungsweise angeregt werden. 


Nasse Pudel- nein Langbeine, zugleich letzter Schnappschuss mit "altem" Ausschnitt

In den letzten Tagen gerieten die Jungen beim Stehen schon leicht aus dem Bild, eine Tatsache, die uns auch bewog, den Bildausschnitt neu zu gestalten. Die Lauflänge, wie auf nebenstehendem Bild gut zu erkennen, hat aus unseren Jungen in den beiden letzten Wochen nämlich richtige "Langbeine" gemacht, denen nun nicht mehr viel zur Erwachsenen-Größe fehlt. 


...und jetzt ist Ludwig an der Reihe

Man wird auch verstärkt bemerken, dass immer mehr die Flügel ausgebreitet und bewegt werden. Was so aussieht, als wollten die Jungen damit ihre Lernwilligkeit in Bezug auf das Fliegen-Lernen demonstrieren, sind in Wirklichkeit nichts anderes als erste Anzeichen einer hormonell gesteuerten "Unruhe", die am Schluss den ersten Abflug initiiert.

19. Juli 01

Sissi und Ludwig erreichen in diesen Tagen ihr höchstes Körpergewicht. Danach bleibt die Gewichtskurve auf einem gleichmäßig hohen Niveau von gut sechs bis sieben Pfund und verringert sich bis zum Flüggewerden etwas. 


Siehst du schon das Futter kommen, Sissi?

Das hat ja doch wieder geklappt und Zeit für die Körperpflege ist trotzdem noch

Nach den heftigen Regenfällen der letzten Tage sind aus unseren "Dreckspatzen" unter Einfluss der wärmenden Sonne und unter fleißiger Gefiederpflege wieder echte "Storchenkinder" geworden. Einen großen Einfluss auf die Nesthygiene hatte in dieser Zeit auch der fleißige Eintrag von frischem Nistmaterial (Gras). Dieses machte bald aus der feuchten, schlammigen Nestmulde wieder ein trockenes und sauberes Nest.


Nach dem Regen haben unsere Eltern
die Nestmulde wieder prächtig renoviert.

Wer vor Ort große Junge im Nest beobachtet, wird bald bemerken, dass das Verhalten der Heranwachsenden bereits viele Sekunden vorher das Erscheinen eines Elterntieres zur Fütterung ankündigt. Von ihrer hohen Warte aus können sie ein weites Feld überblicken und damit natürlich das Anfliegen eines Altstorches mit Futter im Extremfall fast eine Minute vor seiner Landung im Nest erkennen. Lagen die Jungen vorher mehr oder weniger teilnahmslos und still im Horst, werden sie - sobald sie den Futterbringer entdeckt haben - deutlich unruhiger. Sie stehen auch auf, fallen wieder in den Fersensitz, schlagen heftig mit den Flügeln, spreizen die Schwanzfedern und rutschen zur Horstmitte. Das alles wird dazu noch von einem weithin hörbaren Fauchen und Kreischen begleitet. Obwohl der anfliegende Altstorch bei einer Entfernung von mehreren Hundert Metern nur als winziger Punkt erscheint, liefert dieser Punkt den Jungen so viel Information, dass sie ihn als Elternvogel erkennen. Nähert sich in gleicher Weise ein Fremdstorch, wäre das Verhalten total anders und die Jungen würden in Akinese fallen (d.h. sie würden sich tot stellen).

Das bedeutet, dass nicht nur die Jungen ihre Eltern erkennen - das ist sicher nicht ganz verkehrt - sondern auch, dass sich die Elterntiere aus einer großen Schar von Artgenossen individuell erkennen, dieses Kennen auch abgespeichert werden kann und über Wochen, Monate und sicher auch Jahre gespeichert bleibt. Ob dieses Erkennen auch in den Folgejahren bei der Paarbildung eine große Rolle spielt, kann individuell durchaus von Bedeutung sein. Die hohe Zahl an Partnerwechseln in aufeinander folgenden Brutjahren scheint jedoch eher dafür zu sprechen, dass in den meisten Fällen die Partner eines Paares im nächsten Brutjahr zwar wieder das gleiche Nest ansteuern, es sich dann aber entscheidet, ob dieses bereits besetzt ist und ob man sich dann gegen den oder die Neue durchsetzen kann. Gelingt dies nicht, wird ein anderer Horst - der meist nicht sehr weit entfernt liegt - angesteuert und das Glück dort versucht. Ein Warten eines Partners auf seinen "Alten" mag vorkommen, ist aber nicht die Regel.

Im Jahre 1999 verletzte sich ein Altstorch des Weiltinger Paares (10 Kilometer von Dinkelsbühl entfernt) während der Aufzuchtphase. Das einzige Junge im Nest - es war bereits 4 Wochen alt - wurde vom verbliebenen Weibchen mühelos alleine versorgt. Papa Storch verbrachte vierzehn Tage in einer Pflegestation. In dieser Zeit konnten sich die Partner nicht sehen. Als der Storchenmann nach der Pflegezeit wieder in Horstnähe freigelassen wurde und zunächst nur mühsam aufflog, erschien wie aus heiterem Himmel das dazugehörige Weibchen - es war zu diesem Zeitpunkt in der Nähe auf Nahrungssuche - und beide flogen gemeinsam zum Nest und landeten dort unter heftigem Begrüßungsklappern, so als ob keine Trennung stattgefunden hätte. Wäre ein fremdes Männchen an der gleichen Stelle aufgetaucht oder freigelassen worden, hätte es mit Sicherheit eine äußerst aggressive Reaktion des Weibchens gegeben.

Woran sich nun Störche erkennen, muss hier offen bleiben. Die hohe Auflösung des Vogelauges lässt aber mit Sicherheit Details auch aus großer Entfernung erkennen und bedeutsam hervortreten, die für menschliche Augen nicht wahrnehmbar sind. Dass heuer auch an unserem Nest in Dinkelsbühl ein Partnerwechsel stattgefunden hat, ist als erster Tagebucheintrag am 23. März vermerkt

Mit Sicherheit brütet heuer ein anderes Weibchen in der Wörnitzstadt als in den vergangenen vier Jahren.  Dieses beringte Weibchen siedelte ins oben schon angesprochene Nest nach Weiltingen um. Dort erbrütete es mit einem unberingten Männchen drei Junge, von denen ebenfalls eines (wie in Dinkelsbühl) im Alter von gut 18 Tagen tot aus dem Nest befördert wurde. Mittlerweile stehen die beiden Jungen dort kurz vor dem Ausfliegen. Während ihrer Zeit in Dinkelsbühl brachte es die Storchendame in vier Jahren immerhin auf vier verschiedene Männer. Da soll noch einmal einer von ewiger Storchentreue reden. Die gibt es zwar auch, aber häufiger Partnerwechsel ist bei "Storchens" halt auch keine Seltenheit. (Ähnlichkeiten mit menschlichen Verhältnissen sind rein zufällig).

22. Juli 01

Heute vollendet Ludwig die siebte Lebenswoche, Sissi wird morgen nachfolgen. Eine direkte Bedrohung für das Leben der beiden Jungstörche besteht - solange sie sich noch im Nest befinden - in einem derart "hohen" Alter nicht mehr.

Derartige Vorfälle stehen dann immer in Zusammenhang mit größeren Katastrophen, die sich keiner für das Dinkelsbühler Nest wünschen mag. Zu erwähnen, weil schon passiert, wäre der Brand des Horstgebäudes, Blitzeinschlag ins Nest Vergiftung der gesamten Storchenfamilie oder ein Hagelunwetter mit riesigen Hagelkörnern.

Die eigentlichen Gefahren beginnen jedoch immer erst mit Erreichen der Flugfähigkeit. Jeder erste Abflug der Jungen vom Nest wird zwangsläufig weniger elegant vor sich gehen als der der erfahrenen Elterntiere, die im Laufe der Nestlingszeit einige hundert Male den An- und Abflug trainiert und jede thermische Besonderheit der Flugstrecke verinnerlicht haben.

Bei Ludwig und Sissi wird der erste Ausflug wahrscheinlich in eine Runde um das Nest münden. Sollte dabei der Landeplatz verfehlt werden (Punktlandungen sind nun mal fliegerische Sonderfälle, die Erfahrung voraussetzen), wird noch einmal gedreht oder ein anderer hoher Punkt in der Nähe angesteuert. Treten auch dort Schwierigkeiten auf, ist schon einmal ein gebremster "Absturz" möglich, der jedoch in den meisten Fällen ein mehr oder weniger sanftes Abrutschen über ein Dach zur Folge hat. In der verwinkelten Altstadt Dinkelsbühls mit einem dichten Gewirr von Dächern gäbe es für unsere "Jungfernflieger" viele Möglichkeiten des Absturzes. Von den 11 Jungstörchen, die seit der Wiederbesiedelung des Altrathausnestes vor acht Jahren dieses verlassen haben, ist - soweit bekannt - keiner im Nahbereich um das Nest verunglückt. Passiert ein solches Malheur doch einmal ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Da Jungstörche zwischen Häusern kaum einen Startversuch wagen, ist es ratsam, den Pechvogel ohne Hektik und Aufregung aus dem dichtesten Stadtbereich zu treiben. Kann man ihn sogar einfangen, kann er - Vorsicht vor dem dolchartigen Schnabel - auf eine Wiese vor dem Ort gesetzt und dann wieder alleine gelassen werden. Er wird eine der nächsten Gelegenheiten nützen, von dort einen erneuten Startversuch zu unternehmen. Wagt der erste "Ausflügler" schon eine weitere Flugstrecke, endet diese meist auf einer horstnahen Wiese. Meist gesellt sich ein Altstorch dazu und begleitet sein Junges. Häufig sieht man auch die gesamte Familie vereint zusammen bei der Nahrungssuche. Da Junge auch bei dieser Tätigkeit erst Erfahrungen sammeln müssen, werden sie nach dem Ausfliegen weiter zusätzlich von beiden Altstörchen gefüttert. Meist erfolgen diese Fütterungen weiterhin im Nest, gelegentlich - vor allem wenn die Jungstörche sehr hungrig sind und intensiv betteln - wird auch im Nahrungsrevier der Futtervorrat auf die Wiese gewürgt und von den Jungen verspeist.


Nun ist Papa wieder weg. Bald können wir ihm nachfliegen.

Momentan kann bei den Fütterungen im Nest - vorausgesetzt man hat das Glück, eine solche über die Webcam zu verfolgen - das fast schon aggressive Bettelverhalten der Jungen beobachtet werden. Dabei wird heftigst nach dem Schnabel der Altstörche gepickt und dieser dadurch aufgefordert, seinen Mageninhalt auszuwürgen. Dabei stecken die Jungen schon einmal ihren Schnabel ein Stück in den des Elterntieres, um ja als erster - schon beim Herausgleiten der Beute aus der Speiseröhre - "zur Stelle" zu sein.


Gleich geht's los!
Hoffentlich packt mich Ludwig
nicht wieder am Schnabel!


Er versucht es doch schon wieder!
Das mag ich aber gar nicht!

25. Juli 01

Was im Tagebuch vom 26.Juni 01 zum thermoregulatorischen Beinkoten mitgeteilt wurde, gilt in gleicher Weise auch für die fast erwachsenen Jungstörche. Mit den steigenden Temperaturen nahe an die 30 Grad im Schatten (das sind im schattenlosen Nest mindestens 40 Grad) lässt sich bei Ludwig und Sissi nun ebenfalls eine schneeweiße Färbung der Beine erkennen. 

Vergeht das wieder mit unseren weißen Beinen, Sissi?

Papa meint, wenn es kühler wird, bekommen wir unsere hellbraunen Beine wieder, Ludwig!

Dieses Verhalten sorgt für eine zusätzliche Kühlung und für einen verstärkten Wärmeabfluss aus dem Körper.

Die Fütterungen verlaufen weiterhin sehr stürmisch, so dass die beiden Altstörche nach dem Auswürgen des Futters sofort wieder verschwinden.

Für Ruhepausen werden nicht mehr das Nest, sondern bevorzugt die beiden Kamine und der Dachfirst des alten Rathauses genutzt.

Auch die Nahrungssuche wird jetzt immer wieder durch längere Ruhepausen unterbrochen. Dabei sieht man die Dinkelsbühler Störche schon einmal, ohne große Bewegungen auszuführen, auf einer Wiese stehen und eine halbe Stunde Gefiederpflege betreiben. Nach dieser langen Pause geht plötzlich ein Ruck durch den pausierenden Storch und eine "innere Uhr" lässt ihn dann wieder der Nahrungssuche nachgehen.

Mit der Hitze steigt auch der Wasserbedarf der Jungen erheblich an. Wird im Normalfall der Flüssigkeitsbedarf durch die eingetragenen Beutetiere gedeckt, reicht in Hitzeperioden dies nicht immer aus, das heißt die Jungen entwickeln regelrecht Durst. In den südeuropäischen und nordafrikanischen Brutgebieten unserer Weißstörche spielen höhere Lufttemperaturen eine noch viel bedeutendere Rolle und somit ist der Flüssigkeitsbedarf dort noch viel größer. Somit ist das Vorhandensein einer während des gesamten Sommers zur Verfügung stehenden Wasserstelle innerhalb des Nahrungsgebietes ein limitierender Faktor für das Brüten eines Storchenpaares. Für das Dinkelsbühler Storchenpaar bedeutet es kein Problem, die Jungen mit Wasser zu versorgen. Ein solcher Wassertransport geschieht in etwa nach folgendem Muster.
Nach der Fütterung fliegt der Altstorch wie gewohnt vom Nest ab. Hat er vor, Wasser zu besorgen, landet er meist an der nächst gelegenen offenen Wasserstelle, die gut "begehbar" ist. Gerne werden Gräben angeflogen, die über Aufweitungen verfügen, an denen der Storch dann den Schnabel flach ins Wasser taucht, diesen kurz durchs Wasser zieht und unter anschließendem Hochrecken des Kopfes das aufgenommene Wasser abschluckt. Dieser Vorgang wird einige Male wiederholt, so dass er nach wenigen Minuten beendet ist und Vater oder Mutter Storch nach nur kurzer Abwesenheit wieder am Nest erscheinen. Dann spielt sich Ähnliches wie bei der Fütterung ab. Die Jungen schnappen nach dem Schnabel des Alten, packen ihn dabei sogar und veranlassen den Altstorch, das abgeschluckte Wasser auszuwürgen. Ein kleiner Strahl - ähnlich wie bei einem schwach aufgedrehten Wasserhahn - fließt aus dem Schnabel, das meiste tropft auf das Gefieder der Jungen oder auf den Nestboden, der kleinere Teil erreicht den "Adressaten" und wird von den durstigen Storchenkindern aufgenommen. Selbst der Teil, der daneben geht, kühlt während des Verdunstens die Temperatur in der unmittelbaren Umgebung der Jungen etwas ab und damit ist der Zweck des Ganzen auf alle Fälle erreicht.

26. Juli 01

Ludwig und Sissi. Ganz leicht ist es nicht mehr, beide auseinander zu halten. Sie sind - von der Körpergröße und den Proportionen aus betrachtet - ausgewachsen.

Du Sissi, ich bin der Größte!

Du Ludwig, ich bin aber die Schönste!

Die Hand- und Armschwingen haben die Längen erreicht, die ein Abheben vom Nestboden und einen baldigen Abflug ermöglichen. Die Färbung des Schnabels - auch wenn es im Bild der Kamera nicht ersichtlich ist - hat ganz leichte braunrote Schattierungen bekommen. Diese sind am First des Oberschnabels sowie an der Basis beider Schnabelhälften als hauchzarter Schimmer erkennbar (wenn man die Störche vor Ort live betrachtet). Dass die Beinfärbung ein komplettes Weiß erreicht hat, kann jeder einwandfrei ersehen, Ursache und Zweck sind dem aufmerksamen Tagebuchleser mittlerweile ja bestens bekannt. Erst mit sinkenden Temperaturen und unter Mithilfe von Feuchtigkeit verliert sich die weiße Farbe wieder. Dass Ludwig auch heute noch deutlich größer ist als seine Schwester, spricht dafür, dass mit der Namensgebung zufälligerweise auch eine korrekte Geschlechtsbestimmung stattgefunden hat. Beinlänge und damit Körpergröße sowie Schnabellänge und Höhe sind bei männlichen Störchen stets einige Zentimeter bzw. Millimeter größer, das Körpergewicht einige 100 Gramm höher. (Ausnahmen bestätigen allerdings auch hier die Regel, so dass diese Bemerkungen wissenschaftlich nicht gesichert werden können.)

Unterscheiden sich die Geschlechter schon rein äußerlich, genügt natürlich der bloße Augenschein. Nun gibt es eine große Zahl von Fällen - und der unsrige gehört auch dazu - bei denen sich die Geschlechter gleichen und mit dem Auge kaum ein Unterschied feststellbar ist. Hier ist man dann auf biologische Verhaltensweisen angewiesen. (Singt der Vogel, verteidigt er ein Revier u.Ä.) 

Bekommt man den Vogel in die Hand, ist die ganze Angelegenheit wesentlich einfacher. Begattungsorgane sind bei Vögeln nur selten ausgebildet. Bei den meisten Vogelarten (auch beim Storch) ist ein penisähnliches Organ nicht (mehr) vorhanden. Bei einigen Vögeln (Hühner, Enten, Strauße) sind mehr oder weniger große Rudimente eines Penis vorhanden und können ertastet oder mit bloßem Auge gesehen (Strauß) werden.

Kann man in anderen Fällen zur Geschlechtsbestimmung eine Blutprobe nehmen oder sich eine Feder oder einen anderen Bestandteil des Vogelkörpers sichern. ist die Sache schon ein bisschen aufwändiger. Mit diesen individuell zuzuordnenden Materialien lässt sich dann eine Genanalyse vornehmen, die schließlich auch eine 100%ige Geschlechtsbestimmung erlaubt.

Doch Vorsicht! Bei Vögeln besitzen im Gegensatz zu den Säugern (und damit auch im Gegensatz zu den Menschen) die Männchen die paarigen Geschlechtschromosomen xx, während die Weibchen die Ausführung xy verkörpern. Das bedeutet, dass das Geschlecht der "Storchenkinder" von der Eizelle bestimmt wird und nicht wie bei den Säugern vom Spermium.

(Wer sich tiefer in alle ornithologischen Geheimnisse begeben will, sei folgendes Buch wärmstens empfohlen. Es ist für den völligen Laien vielleicht in Teilen schwer vedaubar, aber jeder Laie ist in der Lage, dabei etwas für sich zu lernen:
Bezzel, E. & Prinzinger, R.(1990): Ornithologie- 2. völlig neubearbeitete und erweiterte Auflage, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart- Preis 98.-DM)

29. Juli 01

Genau vor 8 Wochen sind Ludwig und Sissi aus dem Ei geschlüpft. Die vergangenen Tagebucheintragungen haben die beiden ersten Lebensmonate skizziert und legen Zeugnis ab von den teils turbulenten, teils tragischen Geschehnissen rund um das Nest. Der nun kommende Monat wird der des Abschieds sein.

Bald haben wir es geschafft, Sissi

Du kannst ja auch schon Schatten spenden wie Vati, Ludwig!

Geht ja schon ganz gut. Übung macht halt doch den Meister!

Zuerst werden uns die beiden Jungen verlassen und einige Tage später die beiden Altstörche. Gemeinsam reisen ist bei Storchenfamilien eher die Ausnahme. Man fliegt getrennt - Kinder und Eltern

Und auch die beiden Elterntiere gehen nach dem Abflug meist getrennte Wege. Und irgendwann gegen Ende August wird dann das Nest bei Einbruch der Dunkelheit wieder verwaist sein - ein sicheres Zeichen, dass die Storchenfamilie abgezogen ist.

Anfangs kehren die Jungen nach ihren ersten Ausflügen regelmäßig zum Nest zurück und sind auch tagsüber für lange Zeit im Nest vorzufinden. Im Laufe der folgenden Tage werden die Nestbesuche immer seltener, aber zum Übernachten wird jeweils das Nest aufgesucht.

Die beiden Altstörche ihrerseits verbringen die Nachtstunden - solange die Jungen noch nicht abgeflogen sind - stets auf einem erhöhten Standplatz in der näheren Umgebung des Horstes.

Kehren die Jungen abends nicht mehr in ihre "Kinderstube" zurück, ist ihr Abzug aus Dinkelsbühl vollzogen. Meist wandert der Nachwuchs gemeinsam ab. Von da an suchen die beiden Elterntiere wieder regelmäßig ihr Nest auf, zum Übernachten sind sie vom Abzug der "Kinder" an auf alle Fälle dort anzutreffen. Macht sich der erste Partner auf die weite Reise, bleibt nachts sein Platz im Nest leer. Verschwindet auch der zweite Altstorch, wartet man am Abend vergeblich auf seine Rückkehr und das Nest wird erstmals nach fünf Monaten verlassen sein. Wohin die Reise führt, wird später noch ausführlich erörtert werden.

Dieses Übernachtungsverhalten ist übrigens auch eine Kontrollinstanz für den Fall, dass während der Brut oder Aufzuchtzeit der Jungen ein Altstorch verunglückt. Da diese Fälle in Bayern bei etwa 120 Storchenpaaren leider alljährlich durchschnittlich drei- bis viermal vorkommen, sind die Horstbetreuer in Verdachtsfällen angehalten, nach Einbruch der Dunkelheit das Nest, die Dächer, Kamine und andere Standquartiere nach den übernachtenden Altstörchen zu überprüfen. Wird bei diesen Kontrollen ein Altstorch vermisst, muss mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Kommen auch weitere Nachforschungen zu keinem anderen Ergebnis, können dann weitere Maßnahmen eingeleitet werden.

Auch Störche, die kein Nest besitzen - zum Beispiel solche, die während des Sommers Junggesellentrupps bilden und selbst noch nicht die Geschlechtreife erreicht haben - fliegen zum Übernachten einen erhöhten Platz an, der die Gewähr gibt, nicht während der Ruhe- und Schlafphase von einem Raubsäuger (z.B. Fuchs) überrascht zu werden. Solche Mitglieder von Storchentrupps übernachten beispielsweise gerne auf Bäumen oder Strommasten. Erfolgen Übernachtungen auf dem Boden, kann fast immer mit einer Verletzung des betreffenden Storches gerechnet werden.

30. Juli 01

Ihr Storchenexperte konnte heute wieder einmal vor Ort Ludwig und Sissi in natura bewundern.

Allein der Aufstieg unter das Dach der benachbarten Georgskirche (von hier hat man wohl nach der Webcam den besten Einblick ins Nest) ist dabei immer wieder ein Erlebnis. Nach Durchsteigen einer Wendeltreppe erreicht man in knapp 30 Metern Höhe den Dachboden über dem mächtigen Kirchenschiff. In vier Ebenen - sich nach oben immer mehr verjüngend - führen Treppen bis fast zum Dachfirst. Am heutigen Tag konnte mit dem Höhersteigen ein steter Temperaturanstieg bemerkt werden, der schließlich in der vierten Dachbodenebene an die 50°C erreichte.


Du Ludwig, auch der Storchenexperte
muss heute auf seinem Beobachtungsposten schwitzen!

Belohnt wurde man dafür mit einem herrlichen Blick aus fast 50 Metern Höhe durch ein kleines Dachfenster auf unsere beiden Jungstörche. Sie standen eng nebeneinander an der äußersten Nestkante, so als ob sie jeden Moment hinunterspringen wollten. Aber keine Angst! Ein angeborener Reflex wird unseren angehenden Flugkünstlern immer rechtzeitig signalisieren, wo Schluss ist und wann man sich wieder mehr zur Mitte orientieren oder einfach das Gewicht ein wenig nach hinten verlagern muss.

Während der Beobachtung unter dem Dach zeigten sich die Storchenkinder wenig aktiv
In kurzen Zeitabständen gaben sie - wie im Tagebuch schon früher beschrieben - Spritzer von Harnsäure auf ihre Beine ab, die der Kühlung dienen und die weiße Färbung "verschulden".

Ansonsten sahen sie ständig nach unten auf die vorbeiführende Straße, zupften unkontrolliert am Nest herum und beäugten dicht über das Nest streichende Dohlen.

Apropos Nest. Der Boden des Nestes hat durch die schon über eine Woche anhaltende Trockenheit sehr gelitten. Das eingetragene Material wurde durch das ständige Herumlaufen und "Betreten" der gesamten Storchenfamilie so sehr verdichtet, dass es sich sehr hart anfühlt und nur noch ein wenig nachgibt, vergleichbar mit der Konsistenz von Pergament (ich konnte dieses "Gefühl" bei zahlreichen Horstbesuchen in früheren Jahren selbst "erfühlen"). Neues Polstermaterial ist ja beim derzeitigen Entwicklungsstand der Jungen auch nicht mehr nötig und wird von den Altstörchen auch nicht mehr eingetragen (die meiste Zeit stehen die Jungen im Nest)


Harte Unterlage, Sissi!
Die Eltern bringen ja auch kein Gras mehr mit.

Plötzlich drangen heftige Klapperstrophen an das Ohr des Beobachters unter dem Dach. Als dieser nach dem "Verursacher" des Geklapperes suchte, entdeckte er einen Altstorch auf einem Kamin des ehemaligen Karmeliterklosters (heute Berufsfachschule für Musik) neben der Paulskirche und zwei Häuser weiter auf dem Rückgebäude einer großen Buchhandlung stand der Partner. Statt das Nest anzufliegen hatten sich die beiden lieber etwas abseits postiert und genossen dort die Ruhe. Beide Altstörche ließen sich von den Jungen im Nest nicht im Geringsten stören, sondern fetteten ausgiebig Federn ein, brachten diese wieder in Ordnung und hielten Siesta.

Auch als die beiden Jungen einige Klapperstrophen abgaben - diese klingen noch nicht so laut und metallisch wie die der Eltern, sind aber auch schon über einige Hundert Meter hörbar - zeigten die Eltern keinerlei Reaktion und sie waren auch über zwei Stunden nicht bereit, das Nest zur Fütterung anzufliegen. Diese Reaktion ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Alten die Jungen auf Diät gesetzt haben und nur noch füttern, wenn der Magen wirklich kracht. Dieses "Aushungern" soll es den Jungen erleichtern in einigen Tagen den Versuch zu starten, den ersten Ausflug zu unternehmen und dies kann erfolgreicher durchgeführt werden, wenn man dabei nicht zu viel Gewicht mitbringt.


Flugtechnisch habe ich mich wieder verbessert, Sissi!

Bist du vielleicht schon neidisch, Sissi?

Beim Betrachten der Jungen mit Hilfe eines Spektives (einäugiges Fernrohr) konnte heute außerdem die Schnabelfärbung der beiden Storchenkinder studiert werden. Die Verfärbung in ein Braunrot ist wieder deutlich weiter fortgeschritten, hat die Basis des Unterschnabels und Teile der Basis des Oberschnabels voll erfasst. Zum besseren Verständnis: Die Rotfärbung schreitet von hinten nach vorne voran. Als letztes färbt sich die Schnabelspitze rot. An diesem Merkmal lassen sich Jung- und Altstörche noch am längsten unterscheiden, auch wenn die Verfärbung von einem Braunrot in ein leuchtendes Rot schon stattgefunden hat.

Thomas Ziegler

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